Mini-Schengen ohne praktischen Nutzen?

Zum Beitrag über Mini-Schengen am Balkan erreichte uns eine Stellungnahme von Genc Pollo aus Albanien. Genc Pollo gehört dem albanischen Parlament an, er ist Präsident der Paneuropa-Union Albanien.

Der Austausch und die Kooperation im Westbalkan sind höchst erwünscht, auch angesichts der postjugoslawischen Kriege. Nur sollte man am Anfang des zweiten Jahrzehnts des Jahrhunderts etwas ambitioniert sein, was der Qualität der Zusammenarbeit angeht. Und auch vorsichtig mit dem Großrahmen. In der Hinsicht gibt es bezüglich der Mini-Schengen-Initiative einige Bedenken in der Region.

Die Realisierung der vier EU-Freiheiten am Westbalkan ist eine Floskel: die EU entstand als ein zwischenstaatlicher Vertrag – von der EGKS bis hin zur EU des Lissabonner Vertrags. Dasselbe kann man über das Schengener Abkommen sagen, wo (noch) nicht alle EU-Staaten teilnehmen. Zwischen den sechs Westbalkan-Staaten (WB6) sind ähnliche Vereinbarungen politisch nahezu unmöglich und auch nicht wünschenswert. Sie würden dem Assoziierungs- und Stabilisierungsvertrag, den jeder dieser Staaten mit der EU abgeschlossen hat, teilweise widersprechen.

Die guten Absichten regionale Handelshemmnisse zu beseitigen und besseren Arbeitsmarktzugang zu gewähren, könnte man bilateral verwirklichen. Dafür gibt es meines Wissens mindestens zwei regionale Zusammenarbeitsinitiativen: die Zentraleuropäische Initiative und der SEECP, die in den 90er Jahren gestartet wurden, festgefahren und EU verankert sind. Im Jahre 2006 haben die Westbalkanländer im Rahmen des SEECP untereinander und mit den anderen Mitgliedern Handelsabkommen beschlossen, die als CEFTA bekannt sind. In diesem Rahmen könnten die WB6 weitere Schritte zur tarifären und nicht tarifären Handelserleichterungen gehen, sowie Maßnahmen zur gegenseitigen Arbeitsmarktöffnung ergreifen. Freizügigkeit ist bilateral erreicht, indem die meisten WB6 Staatsbürger die meisten WB6 Grenzen auch mit Personalausweis überqueren können. Dank bilateraler Abkommen. Eine Abschaffung der Grenzkontrollen á la Schengen ist nicht ratsam. Es würde auch Probleme mit den EU-Visaliberalisierungsabkommen der WB6 (bis auf Kosovo) machen.

Vielleicht deswegen hat im November die zuständige Ministerin der montenegrinischen Regierung die Mini-Schengen-Initiative als „ohne praktischen Nutzen und Mehrwert“ bezeichnet, und gemeint, dass „die angesprochenen Themen im Rahmen der bestehenden Abkommen besser zu behandeln sind.“ Wenn die Herren Vučić (Aleksandar Vučić: Präsident Serbiens, Anmerkung), Rama (Edi Rama, Premierminister Albaniens, Anmerkung) und Zaev (Zoran Zaev, Premierminister Mazedoniens, Anmerkung) die Vertiefung der regionalen Kooperation auf dem richtigen Weg in das vereinte Europa voran bringen wollten, wäre es angebracht gewesen, wenn sie das im SEECP-Rahmen gemacht hätten.

Zu einer ex novo Initiative gib es Bedenken. Die Tatsache, dass Serbien jüngst der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion beigetreten ist, und ebenso Beobachterstatus bei der von Russland geführten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit hat, verstärkt die Bedenken.

Zum Kosovo: vielleicht sind die Gründe des Kosovo nicht an der Mini-Schengen-Initiative teilzunehmen ähnlich wie die von Montenegro und Bosnien-Herzegowina. Dazu zählt wahrscheinlich das politische Trauma nach dem Gott sei Dank missglückten Versuch, den Kosovo territorial zu teilen, um den nördlichen Teil an Serbien abzutreten. Die Unterstützung dieses sehr uneuropäischen Versuchs durch die Mogherini-Kommission macht die Sache auch nicht besser.

Die Mini-Schengen-Initiative kann, wie Vučić im Dezember sagte, sehr gut scheitern. Aber Schaden hat sie schon angerichtet, indem der Kosovo öffentlich als Problemland exponiert wurde.  Wer würde Kosovos Erklärung für das Fernbleiben ernst nehmen, wenn Albanien dabei ist? Daher glauben viele in Tirana, Kosovo hätte vom Anfang an unbedingt miteinbezogen werden müssen. Nur dann sollte Albanien an einer solchen Initiative teilnehmen. Außerdem ist Tirana vertraglich verpflichtet, sich in diesen Fragen mit Prishtina abzustimmen. Warum Edi Rama das nicht tat, muss er noch erklären.