Grundfreiheiten in Gefahr

Die vier Grundfreiheiten gehören seit den Römischen Verträgen 1957 zum europäischen Recht. Die nationalstaatlichen Bürokratien waren außerordentlich erfinderisch in deren Einschränkung. Von Rainhard Kloucek

Sie sind seit den Römischen Verträgen aus dem Jahr 1957 so etwas wie der Kern der europäischen Verfassung, auch wenn sie meist nur im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt gesehen werden. Die vier Grundfreiheiten der EU: Dienstleistungsverkehrsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit, Personenverkehrsfreiheit und Warenverkehrsfreiheit.

Die Dienstleistungsfreiheit ermöglicht Unionsbürgern die freie, grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen im Binnenmarkt ohne Beeinträchtigung aufgrund von Staatsangehörigkeit. Die Kapitalverkehrsfreiheit ermöglicht den Transfer von Geldern und Wertpapieren in beliebiger Höhe zwischen den Mitgliedstaaten (und zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten). Durch die Personenverkehrsfreiheit können Bürger der EU in einem anderen Mitgliedstaat wohnen und arbeiten. Die Warenverkehrsfreiheit erlaubt die freie Zirkulation von Waren im Binnenmarkt, also freien Handel.

Mit der Verankerung dieser vier Grundfreiheiten in den Verträgen wurden die Lehren aus der Politik nach dem Ersten Weltkrieg gezogen. 1918 brachte nicht nur den Untergang der großen übernationalen Reiche, sondern auch eine Zerstückelung des Kultur- und Wirtschaftsraumes Mitteleuropa. Wo einst freier Handel möglich war, dominierten nun nationale Zollschranken. Jeder Staat versuchte seine wirtschaftlichen Probleme zu exportieren, indem er seine Industrie durch Zölle und andere Hemmnisse zu schützen suchte. Diese Wirtschaftspolitik folgte der Ideologie des Nationalismus, der in den engen Grenzen des Nationalstaates denkt. Mit dieser Politik der Abschottung konnten aber die wirtschaftlichen Probleme nicht gelöst werden. Im Gegenteil: sie wurden nur größer. Die Politik kann ökonomische Grundgesetze nicht außer Kraft setzen. Sie kann unter Umständen kurzfristig Folgen abmildern, aber langfristig gelten die ökonomischen Grundgesetze immer.

Freier Handel in einer freien Wirtschaft führt immer zur Steigerung des Wohlstandes, Einschränkungen mögen einer politisch privilegierten Schicht gewisse Vorteile bringen, sind aber grundsätzlich schädlich. Diese in der Ökonomie längst bekannten Grundsätze setzten sich mit der Verankerung der vier Grundfreiheiten in den Römischen Verträgen auch in der Politik durch.

Doch es war nur ein scheinbarer Sieg der Vernunft. Die nationalen Bürokratien waren extrem erfinderisch in der Schaffung von neuen Hemmnissen, die einen bestimmten Wirtschaftszweig schützen sollten. Da wurden beispielsweise so Schikanen geschaffen, wie die Pflicht für Handwerksunternehmen, wonach sie in dem Land in dem sie ihre Dienstleistung anbieten wollen, in dem sie aber nicht ihren Sitz haben, ein Firmenauto anmelden müssen. Das trifft dann vor allem Handwerker im Grenzgebiet zwischen zwei EU-Staaten. Theoretisch hätten sie das Recht, ihre Dienstleistung im Nachbarland im EU-Binnenmarkt ohne weitere Einschränkungen anbieten zu können, praktisch war die Verpflichtung, auch im Nachbarland ein Firmenauto anzumelden, eine finanziell zu hohe Hürde.

In praktisch allen Hauptstädten der EU gibt es Regelungen, die nur bestimmten Taxi-Unternehmen Flughafentransporte ermöglichen. Damit wird ebenfalls die Dienstleistungsfreiheit eingeschränkt. Im Laufe der Jahrzehnte wurden schließlich tausende Vertragsverletzungsverfahren wegen derartiger Einschränkungen der Grundfreiheiten geführt. Letztlich wurden mit der Dienstleistungrichtlinie gewisse Einschränkungen der Grundfreiheiten gesetzlich geregelt.

PROTEKTIONISMUS WIRD WIEDER SALONFÄHIG

Protektionismus im Arbeitsmarkt, eine klassische Domäne der sozialistisch dominierten Gewerkschaften, führte bei den verschiedenen Erweiterungen der EU zu weiteren Einschränkungen der Grundfreiheiten. Aus Angst, die Arbeiter aus dem Osten würden in den älteren EU-Ländern die Arbeitsplätze wegnehmen, wurden lange Übergangsfristen geschaffen, um die freie Bewegung von Arbeitskräften zu verhindern. Dieser Protektionismus setzt sich nun in der aktuellen Entsenderichtlinie fort. Unter dem Vorwand Lohndumping unterbinden zu müssen, wird der Arbeitnehmerfreizügigkeit ein enges Korsett angelegt. So muss beispielsweise ein Transportfahrer seine Lohnbescheinigung immer mitführen, um beweisen zu können, dass er nicht unter einem festgelegten Tarif bezahlt wird. Da dieser Tarif aber weit weg von den realen Verhältnissen im Arbeitsmarkt des Herkunftslandes des Transportfahrers ist, wird dessen Arbeitnehmerfreiheit eingeschränkt, der Arbeitsmarkt in den Zielländern soll vor Konkurrenz geschützt werden. Länder wie Frankreich oder Österreich hatten solche protektionistische Maßnahmen längst im nationalen Gesetz verankert, nun wird der Protektionismus mit der Entsenderichtlinie auf die europäische Ebene gehoben.

Wenn der österreichische Vizekanzler Heinz Christian Strache bei einer Veranstaltung in Wien, oder der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl in einem Interview (der eine von der FPÖ, der andere von der SPÖ dazu aufrufen, über eine Einschränkung der Freizügigkeit nachzudenken, dann sind sie damit nicht alleine. Die Einschränkungen der Freizügigkeit wurden bisher von jenen Parteien in konkrete Gesetze gegossen, die sich selbst als europäisch bezeichnen, und deren Vertreter anderen Parteien gerne eine antieuropäische Gesinnung zuschreiben.

Die Paneuropabewegung Österreich reagierte mit Pressemeldung auf die Äußerungen von Vizekanzler Strache und Landeshauptmann Niessl.

Beitragsbild: Europäische Union 2015