Ich glaube normalerweise nicht an Megatrends, da sie durch ihre Langfristigkeit meist von der Realität überholt werden. Im Fall von China mache ich aber doch eine Ausnahme, da die Entwicklung der vergangenen Jahre recht stabil war und die politischen Machthaber die Voraussetzungen getroffen haben, dass ihre Wirtschaftsplanung nicht durch „störende Faktoren“, wie zum Beispiel demokratische Wahlen, beeinflusst wird. So hat sich der de facto Herrscher Xi Jin Ping vom nicht gerade übermäßig demokratischen Volkskongress die Genehmigung geholt, praktisch ohne Beschränkung weiter zu regieren, und nicht mehr durch eine Reduzierung der Anzahl der Wiederwahlen behindert zu sein. Wir können also erwarten, dass Xi, der derzeit 65 Jahre alt ist, im Jahr 2035 im, nach chinesischen Standard, immer noch besten Mannesalter, nach wie vor seine Funktion ausübt. Ein Kommentar von Karl von Habsburg.
Was sagt aber nun der Megatrend? In China hält das Wirtschaftswachstum bis circa 2050 an, erst dann wird es seinen Gipfel erreichen. Bis dahin wird sich die gesamte Wirtschaft aber im Verhältnis zu heute verdoppeln. China ist heute schon die weltgrößte Produktionsstätte, und ist seit 2018 der größte Konsument. Ebenfalls führend ist es heute schon im Zahlungsbereich mit dem Mobiltelefon. Bis zum Jahr 2039 möchte China das technologisch am weitesten fortgeschrittene Land sein und in etwa die doppelte Wirtschaftskraft der Vereinigten Staaten haben. Von 125 der weltweit meistgenutzten Produkte stellt China mehr als 50% der Weltproduktion sicher.
Die chinesische Führung macht aber auf Basis der Megatrends einige gewagtere Aussagen: so erwarten sie aus ökonomischen Gründen eine Wiedervereinigung mit Taiwan bis zum Jahr 2025, und eine Rückkehr des 82-jährigen Dalai Lama nach Lhasa in den nächsten fünf Jahren.
Interessant ist aber auch, was im Megatrend nicht vorkommt: zum Beispiel ein Ausblick darauf, wie sich die Konfliktsituation im Südchinesischen Meer rund um die Spratley- und Parcel-Inseln weiter fortsetzen wird. Hier ist die chinesische Position auf Nachfrage unbeugsam. Diese Inseln wurden ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg international zugestanden, nachdem die japanische Besetzung vorüber war. Genau hier könnte sich aber ein Konfliktpunkt ergeben, der die schönste Planung für die nächsten Jahrzehnte über den Haufen wirft. Die meisten Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres, wie die Philippinen und Vietnam, aber auch die Vereinigten Staaten, halten fest, dass es sich bei den besagten Inseln gar nicht um Inseln handle, da sie meist unter Wasser sind. Es würde sich nur um einen Anspruch Chinas auf vergrößerte Territorialgewässer, und damit auf eine massive Vergrößerung ihrer 200 Meilen umfassenden, ausschließlichen wirtschaftlichen Nutzungszone handeln. Außerdem würde es einige der wichtigsten Schifffahrtshandelswege unter seine Kontrolle bringen.
Bei einer Einschränkung der Handelswege ist aber bei den Amerikanern Schluss mit lustig. Die USA ist auf den Handel mit Schiffsverkehr angewiesen, da sich ihre Hauptmärkte jenseits eines Ozeans befinden. Für China trifft dies nur teilweise zu, da es derzeit größte Anstrengungen auf eine moderne Bahnverbindung mit Europa legt, die natürlich auch große Teile Zentralasiens und Russlands bedienen könnte. Und hier befindet sich nun ein riesiges Konfliktpotential. Die Geschichte hat uns immer wieder gezeigt, dass wenn es eine dominante Macht gibt, und die plötzlich von einer aufstrebenden neuen Macht herausgefordert wird, dies in den meisten Fällen zu einer kriegerischen Auseinandersetzung führt. Das ist in der Politik nicht anders als im Geschäft oder auf dem Spielplatz.
Was aber China bei aller Expansionspolitik anders als die anderen Großmächte, USA und Russland, macht, ist, dass es keine „Werte“ exportiert. Der Westen exportiert Demokratie als allseligmachende Gnade, wenn es sein muss mit Feuer und Schwert, und Russland exportiert eine klar totalitäre Weltanschauung. China will wirtschaftlich dominant sein, wirkt aber in Drittländern nicht sofort gesellschaftsverändernd.
China hat aber auch ein spezielles Verhältnis zu Demokratie und Menschenrechten. Wenn man einen chinesischen Politiker auf dieses Thema anspricht, erhält man eine interessante Antwort. Es wird immer auf die Wechselwirkung von Effizienz und Demokratie hingewiesen. Wenn Demokratie ineffizient macht, dann muss es eben der Effizienz weichen, ansonsten ist es akzeptabel. Dieselbe Antwort erhält man bei einer Nachfrage nach Menschenrechten.
Im Konflikt zwischen China und den Vereinigten Staaten fühlt man sich immer wieder an den Streit zwischen den Eiskunstläuferinnen Tonja Harding und Nancy Carrigan erinnert. Wobei noch nicht klar ist welches der beiden Länder die Rolle Hardings oder Carrigans einnimmt. Letztlich haben beide verloren.
Die nächsten Jahre werden zeigen, ob China die derzeitige rasante Entwicklung weiter fortsetzt, oder ob einige unvorhergesehene Konflikte den Megatrend aus der Bahn werfen.
Der Artikel erschien ursprünglich auf der Seite von Karl von Habsburg.
Das Bild zeigt die Börse von Shanghai, c Europäische Union 2017.