Kyiv, eine Woche nach der Präsidentenwahl

Wird Amtsinhaber Petro Poroshenko die Stichwahl für sich entscheiden können oder doch der Herausforderer Volodymyr Zelensky? Und was bedeutet das für die Parlamentswahl im Oktober. Ein Eindruck aus der Hauptstadt der Ukraine, von Rainhard Kloucek.

1996, so erzählt der Professor an der Borys Hrintschenko Universität Kyiv bei der Einleitung zum Vortrag des Gastes aus Österreich, war er das erste Mal in Österreich. Und er hängt die Frage an: wer war da schon geboren. „Die ukrainische Verfassung“, ruft eine Studentin in den Saal. Die Antwort ist richtig, aber auch schlagfertig. Schließlich sollte der Professor wissen, dass Studenten im zweiten Studienjahr 1996 noch nicht geboren waren.

Ziel des Vortrages ist, den Studierenden etwas über Paneuropa zu erzählen. Die Entstehung der Organisation, die Ziele, und natürlich auch die Frage, wie wir die Lage in der Ukraine sehen, die ganze Situation mit dem von Russland vom Zaun gebrochenen Krieg, die Annexion der Krim, und natürlich eine mögliche EU-Annäherung des Landes. Aber es ist noch keine Woche nach der ersten Runde der Präsidentenwahl. Und die erste Frage nach dem Vortrag ist gleich die, wer der beiden Kandidaten in der Endrunde nun der bessere sei. Der amtierende Präsident Petro Poroshenko oder der Herausforderer Volodymyr Zelensky? Die Frage kann der Redner aus Österreich natürlich nicht beantworten. Zu Poroshenko kann er nur Anmerkungen über seine bisherige Politik machen. Dass er mehr versprochen hat als er halten konnte. Aber nicht alle diese nicht eingehalten Versprechen wurden aufgrund seiner Politik nicht eingehalten. Den Krieg kann er nicht alleine beenden. Sein Unternehmen hätte er aber – wie versprochen – verkaufen können. Der Punkt kommt übrigens auch in mehreren Gesprächen immer wieder. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Wer ist der Herausforderer?

Doch was soll der Redner aus Österreich zu Volodymyr Zelensky sagen. Man weiß, dass er Schauspieler, Komödiant ist. Aber wird er ein guter Politiker, ein guter Präsident sein? Nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung an der Universität erzählt eine Studentin (sie war auch bei der Paneuropa-Konferenz in Wien), dass ihre Familie und Zelenksky Nachbarn sind. Sie kommen beide aus der gleichen Stadt, und sie kennt ihn von daher. Ja, sie hat ihn gewählt, und sie wird ihn auch in der zweiten Runde wählen. Ein paar weitere Studenten, die noch an einem Gespräch mit dem Paneuropa-Vertreter aus Österreich interessiert sind, unterstützen sie. Zelensky ist aus ihrer Sicht deutlich besser als Poroshenko.

Jetzt kommt natürlich der Einwand des Österreichers, dass man wenige darüber weiß, was Zelensky, der bisher nur als Schauspieler bekannt ist, wirklich machen wird, was seine Politik ist, ob er überhaupt eine konkrete Vorstellung von Politik hat. Es wird ja niemand annehmen können, dass er glaubt, seine Präsidentenposition so ausüben zu können, wie er in einem Film den Präsidenten gespielt hat! Nein, so naiv sind die Studenten – alle so um die 20 – nicht.

Aber, sie alle sind alt genug, um die Situation im Land vor fünf Jahren schon mitbekommen zu haben. Die Versprechungen des jetzigen Präsidenten, und die Realität. Ja, Reformen wurden gemacht, aber eben nur zaghaft, nur in einigen Bereichen, und Poroshenko hat seine Glaubwürdigkeit verloren. Deshalb soll jetzt ein anderer die Chance bekommen. Was aber, wenn der auch versagt? Dann wird eben in fünf Jahren wieder ein anderer gewählt werden!

Vertrauen in die Demokratie

Diese Aussage kommt mit einer gelassenen Bestimmtheit von den Studenten, aber auch von älteren Gesprächspartnern. Das klingt gut und optimistisch. Denn es zeigt eindeutig: Die Leute haben Vertrauen in die demokratischen Wahlen. Es ist nicht – wie in Moskau – vorbestimmt, wer der nächste Präsident wird. Versagt er, so ist er in fünf Jahren wahrscheinlich wieder weg. Da staunt der Österreicher. Hierzulande gilt es als sicher, dass ein amtierender Präsident wiedergewählt wird, wenn er noch einmal antritt.

Aber nicht alle sind so überzeugt von Zelensky und ergreifen das Wort für Poroshenko. Die Sprachwissenschaftlerin (sie ist an einer anderen Universität tätig) lässt kein gutes Haar an Zelensky. Ein Schauspieler, von dem keiner weiß, was er wirklich will. Spielt er eine Rolle, meint er ernst was er sagt, wie will er das umsetzen, wer steht hinter ihm, ist er eine Marionette des Oligarchen, dem der Sender gehört, für den er arbeitet, ist er gar der Mann Russlands? Es sind viele Fragen, die sie aufwirft, und nicht nur sie. Nein, Poroshenko ist auch nicht perfekt, er hat viele Fehler gemacht, die Tatsache, dass seine Firma während seiner ersten fünf Jahre als Präsident reicher geworden ist, spricht nicht für ihn. Aber man kennt mittlerweile seine Politik. Man weiß, dass er für die klare Westorientierung des Landes steht. Die ist den Ukrainern wichtig.

Die meisten Gesprächspartner in Kyiv (die natürlich kein repräsentativer Ausschnitt der Wähler sind) gehen davon aus, dass wohl Zelensky gewinnen wird. Ukraine-Kenner in Österreich sind vor der Wahl davon ausgegangen, dass Poroshenko, soferne er in die zweite Runde kommt, diese auch gewinnen wird.

Aber dazu muss er deutlich mehr zusätzliche Wähler gewinnen, als sein Herausforderer. Der hatte 30 Prozent im ersten Wahlgang, der amtierende Präsident nur 16. Noch dazu, so erzählt der Professor, hat Poroshenko im Wahlkampf polarisiert. „Ich oder Putin“ war einer seiner Slogans, so als wären alle anderen Marionetten Moskaus. Er muss, um die 50 Prozent zu erreichen, mehr als zwei Drittel der Wähler jener Kandidaten gewinnen, die nicht in die zweite Runde gekommen sind. Zelensky genügt schon die Hälfte. Was für Poroshenko spricht ist die Macht seines Blocks im Parlament. Denn im Oktober sind Parlamentswahlen, die Vielzahl der Kandidaten für das Präsidentenamt hängt auch mit diesen kommenden Parlamentswahlen zusammen. Man bringt sich in Stellung, für Koalitionen, für Positionen.

Sind wirklich alle korrupt?

Aber auch Zelenksky macht seine Fehler. Vor kurzem hat er geäußert, dass praktisch alle in der Verwaltung korrupt sind und deshalb ausgetauscht werden müssen. Eine harte Ansage. Unbestritten ist die Korruption ein Problem. Aber zu sagen, alle seien korrupt, geht an der Wirklichkeit vorbei. Hat Zelensky damit ein doch nicht zu vernachlässigendes Wählerpotential vergrämt? Da geht es ja nicht nur um die Stimmen der Mitarbeiter in der Verwaltung. Da geht es auch um ihre Familien, letztlich geht es auch um jene Verwaltung, die dafür sorgen muss, dass die Wahl korrekt ablaufen kann.

Wer immer die Präsidentenwahlen am katholischen Ostersonntag gewinnen wird, im Herbst sind Parlamentswahlen. Der Präsident der Ukraine, auch das wird in EU-Europa oft vergessen, ist nicht Alleinherrscher wie der Präsident Russlands. Seine Kompetenzen wurden stark beschnitten. Er kann die Orientierung der Außenpolitik bestimmen, aber in den meisten anderen Fällen ist er von der Mehrheit im Parlament abhängig. So wie sich das in einer Demokratie gehört.