Das neue Regierungsprogramm hat eine klar pro-europäische Ausrichtung. Eine Bewertung von Franz Schausberger, Präsident des Institut der Regionen Europas und früherer Landeshauptmann von Salzburg.
Ein äußerst positiver Aspekt der neuen türkis-grünen Regierungskoalition ist die klare pro-europäische Ausrichtung, die in dieser Form mit der FPÖ nicht möglich gewesen wäre. Das Regierungsprogram ist in einer Weise Europa- und EU-freundlich, wie man es wohl schwer in einem anderen EU-Mitgliedsland findet. Da heißt aber keinesfalls, dass die neue österreichische Regierung der EU total unkritisch gegenübersteht. Im Gegenteil: Man macht konkrete und konstruktive Vorschläge zur Reform der EU und nicht dumpfes, populistisches EU-Bashing. Die Regierungspartner bekennen sich zu einer aktiven Europa- und Außenpolitik, während die EU-Politik der letzten Regierung sehr viel Energie für das Zudecken der grundsätzlich EU-skeptischen bis –ablehnenden Position der FPÖ aufwenden musste. Da blieb für aktives Gestalten wenig Spielraum. Nun wurde die Einladung der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu einer „Konferenz zur Zukunft Europas“ sofort aufgegriffen und auch schon der von Österreich verfolgte Weg deutlich dargestellt: Es sollte zu einer Reform des Vertrags für Europa kommen, basierend auf dem Grundprinzip der Subsidiarität.
Das auf die katholische Soziallehre zurückgehende Subsidiaritätsprinzip bedeutet, dass die jeweils höhere staatliche Einheit (also etwa die EU-Ebene) nur dann, wenn die nächste, mitgliedstaatliche Einheit dazu nicht in der Lage ist, zuständig sein und aktiv regulierend, kontrollierend oder helfend eingreifen darf. Hilfe zur Selbsthilfe soll dabei immer das oberste Handlungsprinzip der jeweils übergeordneten Instanz sein. Dies gilt natürlich nicht nur zwischen EU und Mitgliedstaat, sondern auch zwischen Nationalstaat und seinen Regionen und Kommunen.
Für die großen Zukunftsfragen braucht es eine starke Europäische Union, alle anderen Aufgaben werden effizient aufgeteilt nach dem Grundsatz der Subsidiarität, die es den Mitgliedstaaten überlässt, diese auf gesamtstaatlicher oder regionaler Ebene zu lösen. Das ist für einen überzeugten Europäer und Föderalisten der richtige Weg und entspricht auch ganz der Resolution der österreichischen Landeshauptleute zum aktuellen 25-jährigen Jubiläum des Europäischen Ausschusses der Regionen.
Erfrischend sind die konkreten Reformvorschläge für die EU: Bürokratieabbau und Durchforstung der EU-Rechtsakte sowie Streichung nicht mehr notwendiger Regelungen, Verkleinerung der EU-Kommission, Zusammenlegung der Tagungsorte des Europäischen Parlaments, Reduzierung des Einstimmigkeitsprinzips. Zur Umsetzung bedarf es zäher Verhandlungen mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten. Aber es ist gut, dass Österreich initiativ werden will. Dies gilt auch für Österreichs Bekenntnis zu einer EU-Beitrittsperspektive für den Westbalkan und zum sofortigen Beginn der Beitrittsverhandlungen für Nordmazedonien und Albanien. Diese werden ohnehin Jahre dauern, bis es zu einem Beitritt kommen kann. Österreich wird auch aktiv den Dialog zwischen Serbien und Kosovo unterstützen.
Interessant ist auch, dass die Regierung den „Sotschi-Dialog“ zwischen Österreich und Russland fortsetzen wird und einer schrittweisen Aufhebung der Sanktionen gegen Russland positiv gegenübersteht, sofern die Minsker Vereinbarungen umgesetzt werden.
Sehr deutlich ist im Regierungsprogramm auch die Sprache gegenüber all jenen, die meinen, aus der Solidargemeinschaft Europa ausbrechen zu müssen: Sünder gegen die Rechtsstaatlichkeit und gegen die Budgetregeln müssen mit wirksamen Sanktionen rechnen. Das gilt auch für Mitgliedstaaten, die das Dublin-Abkommen brechen, indem sie illegale Migration nach Mitteleuropa zulassen und nicht gegen die Schlepperei vorgehen. Das könnte wohl sofort Bulgarien oder Griechenland treffen.
Andererseits sieht die neue Bundesregierung aber auch keinen Sinn in der Übererfüllung von EU-Regeln in der österreichischen Umsetzung („Gold-Plating“). Sehr unmissverständlich wird auch darauf hingewiesen, dass das MERCOSUR-Handelsabkommen mit den südamerikanischen Staaten in der derzeitigen Form abgelehnt wird.
Das Programm enthält auch das Bekenntnis zur Stärkung der Bürgernähe und des Vertrauens der Menschen in die EU dadurch, dass die Regionen, Gemeinden und Städte mehr als bisher in den EU-Entscheidungsprozess einbezogen werden. Österreich hat dazu durch die vom früheren Außenminister Michael Spindelegger geschaffenen EU-Gemeinderätinnen und Gemeinderäten ein Beispiel für ganz Europa gesetzt. Diese Initiative möchte nun EU-Budgetkommissar Johannes Hahn auch auf die anderen europäischen Länder ausweiten, vor allem um über den mehrjährigen EU-Finanzrahmen bis auf die lokale Ebene zu informieren.
Apropos EU-Finanzen: Dazu sagt das Regierungsprogramm gar nichts. Damit ist man von der Fesselung an strikte Beitragsgrenzen abgekommen und frei für Verhandlungen im Sinne eines neuen Miteinander.
Der Autor: Franz Schausberger, Univ. Prof., Historiker, Vorstand des Instituts der Regionen Europas, Sonderberater der Europäischen Kommission, Mitglied des Ausschusses der Regionen, ehemaliger Landeshauptmann von Salzburg.
Beitragsbild: Die neue Bundesregierung auf dem Weg zur Angelobung. Copyright: BKA/Andy Wenzel