Vor hundert Jahren brachte die Spanische Grippe für Millionen von Menschen den Tod. Ein Rückblick und ein Vergleich, von Franz Schausberger.
„Wie kann man sich schützen? Es kann nicht die ganze Menschheit mit Gasmasken herumlaufen, um die ansteckende Luft nicht zu inhalieren. Die Luft ist ja auch nicht überall ansteckend; im Freien sicher nicht, nur in geschlossenen Räumen, und zwar dort mehr, wo Menschen dicht beisammen leben. Also Sperrung von Schulen, aber nicht erst, wenn schon mehrere Fälle aufgetreten sind, sonst ist es zu spät, wie es gewöhnlich bei Masern auch der Fall ist. Die Schulen müssen sofort geschlossen werden! Erwünscht wären natürlich zahlreiche Spitalsbetten für die Erkrankten, aber dies ist leider schwer durchführbar.“
So kommentierte der prominente Kinderarzt Professor Emil Fronz am 6. Oktober 1918 die aktuelle Situation um die sogenannte „Spanische Grippe“, nachdem man zögerlich auch in Österreich die Gefährlichkeit dieser Influenza-Pandemie zu realisieren begann. Sätze, die bekannt klingen.
In Europa hatte sich diese gefährliche Krankheit, die letztendlich zwischen 1918 und 1920 – also vor rund 100 Jahren – weltweit zwischen 25 und 50 Millionen Todesopfer forderte, von Spanien aus verbreitet. „Spanische Grippe“ wurde sie deshalb genannt, weil in Spanien als neutralem Land die Zensur weniger streng war als in den kriegführenden Staaten und von diesem Land aus die ersten Nachrichten durchsickerten. Der wirkliche Ausgangspunkt allerdings war im März 1918 in den USA. An dieser Krankheit starben mehr Menschen als es im Ersten Weltkrieg Tote gab.
Die österreichischen Medien berichteten erstmals ausführlicher im Juni 1918, als sich die Krankheit über die Schweiz und Italien nach Südtirol, Tirol und ganz Österreich verbreitete. Man vermutete, dass die Krankheit mit den Südwinden in die nördlichen Länder getragen worden sei. Die Gefährlichkeit der Krankheit unterschätzte man aber gewaltig: Sie sei im Allgemeinen sehr gutartig und ungefährlich. Sie würde ebenso schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sei, ohne bedenkliche Folgen zu hinterlassen. Am 18. Juni wurden 47 Fälle in Tirol gezählt, unmittelbar darauf auch viele in Wien. Deshalb wurde am 22. Juni von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck eine „Sommerfrischensperre“ verordnet. Vom Tiroler Fremdenverkehr wurde alles daran gesetzt dieses Verbot aufzuheben – vergeblich. Viele Wiener Familien, die bereits Sommerwohnungen im Raum Innsbruck gebucht hatten, kamen um ihren Sommeraufenthalt.
Inzwischen hatte sich die Spanische Grippe rasend schnell in ganz Europa verbreitet. Berlin meldete Anfang Juli 18.000 Krankheitsfälle. Am 23. Juli hatte sich in Genf die Krankheit so verbreitet, dass alle Lokale, Theater, Kinos und Kirchen gesperrt wurden. Seit 1. Juli wurden 126 Tote in Genf verzeichnet.
Am 20. September 1918 starb der jüngste Sohn des schwedischen Königs Gustav V., Prinz Eric Gustav Albert von Schweden an der Spanischen Grippe.
Endlich konstatierte in Österreich auch die Reichspost am 28. September ein „verheerendes Umsichgreifen der Grippe“, die siegreich durch Europa raste und einen zunehmend gefährlichen, pestartigen Charakter zeige. Anfang Oktober zählte man tausende Tote im Raum Padua. In der letzten Septemberwoche beklagte man in Wien 199 Tote durch die Spanische Grippe. Erst am 7. Oktober verordnete der Wiener Bürgermeister Weiskirchner eine Sperre der Schulen im Stadtgebiet für eine Woche, am 18. Oktober folgte die Sperre der Kindergärten.
das einzige Land mit einem Ministerium für Volksgesundheit
Österreich hatte am 24. November 1917 als erstes und einziges Land Europas ein k. k. Ministerium für Volksgesundheit eingerichtet. Als erster Gesundheitsminister wurde aber erst am 30. Juli 1918 Professor Ivan Horbaczewski, ein aus Galizien stammender Chemiker, ernannt. Am 9. Oktober 1918 musste er im Abgeordnetenhaus des Reichsrates Rede und Antwort zur Spanischen Grippe stehen. Es war das einzige Mal, dass sich die Abgeordneten mit diesem Thema befassten.
Entgegen Befürchtungen der Bevölkerung, es handle sich um die Lungenpest, stellte der Minister fest, dass diese Epidemie nach Erklärungen des berühmten Bakteriologen Prof. Anton Ghon aus Prag nichts mit einer Pest zu tun habe. Trotz der großen Zahl von Todesfällen nähme die Grippe im Allgemeinen einen gutartigen Verlauf. Eine Verbreitung in Österreich sei nicht zu verhindern, vor allem auch deshalb, weil man den Erreger nicht kenne. An die deutsche Regierung sei man schon einen Monat zuvor herangetreten bezüglich der Überlassung von Medikamenten, vor allem Aspirin, da in Österreich nur geringe Mengen davon vorhanden waren. Um Hamstern und Schleichhandel zu verhindern, durften nur kleine Mengen an Einzelpersonen verkauft werden. Ärzte aus den Militärspitälern wurden abgezogen. Personen, die von nur leicht Erkrankten angesteckt wurden, konnten auch die tödliche Form der Grippe bekommen. Daher müsste man auch die leicht Erkrankten isolieren, was unmöglich schien. Das Verbieten des Besuches von Kaffeehäusern, Kinos, Theater usw. sah der Minister als nicht zielführend an, solange nicht das Fahren mit Straßenbahn und Eisenbahn und das Einkaufen von Lebensmitteln verboten würden. Das schien aber ganz undenkbar. Von einer Anzeigepflicht im Sinne des Epidemiegesetzes wurde in dieser Zeit des Krieges und des Zusammenbruchs wegen bürokratischer Überforderung der Ärzte abgesehen. Folglich hatte man aber auch keine genauen Zahlen. In jedem Krankenhaus wurden eigene Grippezimmer bzw. eigene Abteilungen eingerichtet. Es gab allerdings keine Notspitäler, sodass Akutpatienten abgewiesen und in Polizeikommissariaten untergebracht werden mussten.
Am meisten betroffen waren Personen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Menschen über 40 Jahre hatten – nach Ansicht des Internisten Professor Norbert von Ortner –, im Zuge der Epidemie 1889/90 die Grippe überstanden und dadurch einen hohen Grad an Immunität erworben. Als es zwischen 1. September und 19. Oktober allein in Wien 3125 Tote gab, wurden endlich auch Kaffees, Kinos, Restaurants, Theater etc. gesperrt. In weiterer Folge flachte die Pandemie etwas ab, um im Jänner 1919 wieder aufzuflammen und im Frühjahr 1922 nochmals Österreich heimzusuchen. Dies wohl infolge nicht konsequent fortgesetzter Gegenmaßnahmen. Der letzten Welle fiel auch Kaiser Karl am 1. April 1922 infolge der Spanischen Grippe mit doppelseitiger Lungenentzündung in Funchal zum Opfer.
Eines der ersten Opfer: Der Großvater von Donald Trump
Es gab eine Reihe weiterer bekannter Opfer der Spanischen Grippe. Eines der frühen Opfer der Pandemie war Frederick Trump, der Großvater des heutigen amerikanischen Präsidenten. Er war als Friedrich Trump 1869 in Kallstadt in der Pfalz geboren worden, absolvierte eine Friseurlehre und wanderte 1885, um der Wehrpflicht zu entgehen, in die Vereinigten Staaten aus. Er eröffnete in mehreren Goldgräberorten Hotels und Bordelle und machte damit seine ersten lukrativen Geschäfte. Sein Ansuchen um Wiedereinbürgerung in Deutschland wurde ihm wegen seiner illegalen Ausreise verweigert.
Im Mai 1918 machte Frederick Trump einen Nachmittagsspaziergang mit seinem Sohn Fred, als er sich plötzlich so schlecht fühlte, dass er sofort das Bett aufsuchte. Bereits am nächsten Tag, dem 27. Mai 1918, starb er an der Spanischen Grippe.
Ein besonders prominentes Opfer der Spanischen Grippe war der berühmte österreichische Maler Gustav Klimt. Er musste wegen eines Schlaganfalles in ein Sanatorium gebracht werden. Am 2. Februar 1918 wurde er wegen Komplikationen ins Allgemeine Krankenhaus zu Professor Karl Biehl gebracht, wenig später kam eine Lungenentzündung dazu, ausgelöst durch die Spanische Grippe, der er bereits am 6. Februar, erst 56 Jahre alt, erlag.
Ein halbes Jahr später, am 28. Oktober starb die Frau des Malers Egon Schiele, Edith, im sechsten Monat schwanger, an der Spanischen Grippe. Drei Tage später erlag auch Schiele selbst der furchtbaren Krankheit, gerade einmal 28 Jahre alt.
Sophie Freud, die zweitjüngste Tochter von Sigmund Freud, die in Hamburg lebte, starb am 25. Jänner 1920 völlig unerwartet während der Schwangerschaft innerhalb weniger Tage an der Spanischen Grippe. Freud konnte nicht einmal zum Begräbnis fahren, da zwischen Wien und Hamburg zu dieser Nachkriegszeit keine Züge fuhren.
Der bedeutende Soziologe und Nationalökonom Max Weber starb am 14. Juni 1920 im Alter von 56 Jahren ganz plötzlich in München an einer Lungenentzündung infolge der Spanischen Grippe. Er war kurz zuvor in Nachfolge von Lujo Brentano zum Professor der Volkswirtschaftslehre an der Münchner Universität bestellt worden.
Es gab auch – heute würde man sagen – Fake News bzw. Verschwörungstheorien. So verbreitete der Hamburger Journalist Philipp Berges die Theorie, dass es sich bei der Spanischen Grippe nicht um eine infektiöse Seuche, sondern um eine Weltmassenvergiftung handle, die die giftige Vergasung der ganzen Erdatmosphäre zum Ziel habe. Dies habe begonnen mit dem Abschießen giftiger Gase an den Kriegsfronten.
Spanische Grippe und Corona-Virus sind nicht vergleichbar
Aus heutiger Sicht kann man feststellen, dass die Spanische Grippe und das Coronavirus keinesfalls vergleichbar sind. Erstere war wesentlich gefährlicher und brachte ein Vielfaches an Todesopfern, die vor allem unter den Jüngeren zu finden waren, im Gegensatz zum Coronavirus, das besonders die älteren Menschen gefährdet. Gemeinsam ist beiden, dass sie eine große Herausforderung für das staatliche Krisenmanagement darstellten bzw. darstellen und ihre Bekämpfung im Wesentlichen auf dem 1913 erlassenen Epidemiegesetz beruht. Die Forderungen nach einem einheitlichen „Volksseuchengesetz“ reichten zumindest bis 1885 zurück. Nach jahrelangen Diskussionen wurde schließlich am 14. April 1913 das „Gesetz betreffend die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ im Reichsrat beschlossen. Es war nicht revolutionär und modern bestenfalls in Teilen und gilt – mit kleinen Abänderungen und einer Wiederverlautbarung im Jahr 1950 – bis heute. Es beinhaltet die Melde- und Anzeigepflichten von Erkrankten, die Absonderung Kranker (Quarantäne), Maßnahmen der Desinfektion, Schließung von Schulen, Beschränkungen des Lebensmittelverkehrs, Personenüberwachung, Verbot von Menschenansammlungen, Räumung von Wohnungen sowie Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften und im grenzüberschreitenden Verkehr mit dem Ausland sowie Betriebsschließungen.
Ein großer Unterschied liegt auch in der völlig anderen Situation Österreichs. Die Spanische Grippe traf das Land, als die Österreichisch-Ungarische Monarchie vor dem Zusammenbruch stand, man kämpfte mit Ernährungsproblemen, die Menschen waren durch den jahrelangen Krieg erschöpft und demoralisiert, man musste tausende Kriegsverwundete versorgen, öffentliche Institutionen existierten nicht mehr oder waren nicht handlungsfähig, es mangelte total an Medikamenten, Ärzte und Pflegepersonal waren völlig überfordert, Hygiene fehlte überall, die innenpolitische Lage war unsicher, die Maßnahmen der Behörden waren zu spät und wirkungslos. In Österreich starben in den Jahren 1918/19 an der Pandemie rund 21.000 Menschen. Ähnliches wird uns durch rechtzeitige und gezielte Maßnahmen in einem modernen Österreich des 21. Jahrhunderts Gott sei Dank erspart bleiben.
Franz Schausberger, Universitätsprofessor für Neuere Österreichische Geschichte. Ehemaliger Landeshauptmann von Salzburg. Vorstand des Instituts der Regionen Europas.
Das Beitragsbild zeigt die Großeltern von US-Präsident Donald Trump, dessen Großvater zu den ersten Opfern der Spanischen Grippe gehörte.