Kein „historisches Abkommen“, aber Erfolg für den US-Präsidenten

Historisch ist die Einigung zwischen Serbien und Kosovo, welche in Washington unterzeichnet wurde, nicht in allen Punkten. Für Trump ist sie ein Erfolg. Und sie zeigt die Schwächen der geopolitischen Selbstbeschränkung Europas auf. Eine Analyse von Stefan Haböck, Internationaler Referent der Paneuropabewegung Österreich.

Viel wurde geschrieben zum „historischen Abkommen“ zwischen Serbien und Kosovo, das unter den wachsamen Augen von US-Präsident Donald Trump in Washington unterzeichnet wurde. Jede Annäherung zwischen Staaten ist begrüßenswert. Man soll jedoch vorsichtig sein bei der Verwendung von Superlativen. Die politische Normalisierung zwischen Serbien und Kosovo ist nämlich schon vereinbart – im „Brussels Agreement“ von 2013. Wie erfolgreich, soll jeder selbst beurteilen. Sondergesandter Grenell sagte schon im Juni, dass die USA sich auf die wirtschaftliche Komponente konzentrieren wollen, und die EU die politische Lösung (das heiklere Terrain) verhandeln soll.

Das in Washington unterzeichnete Dokument ist jedenfalls nicht der „historische Durchbruch“ in Südosteuropa, aber ein großer Erfolg für Donald Trump.

Hintergründe der Verhandlungen

Der Konflikt zwischen Kosovo und Serbien ist immer noch aktiv. Serbien weigert sich, Kosovo anzuerkennen. Sowohl die EU als auch die USA, die aufgrund der Intervention im Kosovo 1999 besonderen Status im Land genießt, versuchen seit Jahren zwischen den Parteien zu vermitteln. Dass sich dies schwierig gestaltet ist angesichts der Historie der beteiligten Personen nicht völlig unverständlich. Ein „Verdun-Moment“, bei dem sich Mitterand und Kohl am Ort der Hölle von Verdun die Hand reichten, scheint noch in weiter Ferne.

Zuletzt gab es im Kosovo politische Konflikte, als Präsident Hashim Thaci ankündigte, auf Vermittlung von US-Sondergesandtem Richard Grenell mit Serbien ein Abkommen zu unterzeichnen. Die Regierung unter Premierminister Albin Kurti (Vetëvendosje) lehnte dies als nicht verfassungskonform ab. Kurti stolperte über ein Misstrauensvotum im Parlament. Der neue Premierminister Avdullah Hoti hat nun in Washington unterzeichnet.

Was steht in dem Dokument?

Sowohl Vucic als auch Hoti haben jeweils ein eigenes Dokument unterschrieben. Das viel zitierte „Wirtschaftsabkommen“ ist es nur zum Teil. Einige Punkte des wirtschaftlichen Teils sind Bekenntnisse zur Umsetzung schon unterzeichneter Erklärungen. Zum Beispiel die Belgrad-Pristhina-Autobahn oder die Belgrad-Pristhina-Bahnstrecke (beide Februar 2020). Zudem sollen mehrere Infrastrukturprojekte auch in Kooperation mit der U.S. International Development Finance Corporation abgewickelt werden.

Zudem soll der Kosovo dem Projekt „Mini-Schengen“ beitreten. Was interessant ist, denn 2019, als Serbien, Albanien und Nord-Mazedonien dieses Projekt präsentierten, war es als unsinnig bezeichnet worden.

In Zukunft werden die Daten von Flugpassagieren mit US-Technologie erfasst und verarbeitet („commit to technology upgrades to combat illicit activities by implementing and operationalizing U.S.-provided screening and information systems […]“).

Spannend ist der Punkt, in dem beide Staaten zusichern, „unsichere Anbieter“ („untrusted vendors“) aus dem 5G-Netz auszuschließen. Angesichts der engen militärischen und sicherheitspolitischen Kooperation Serbiens mit China, wird die reale Umsetzung hier weisen, ob die USA oder China den stärkeren Einfluss haben.

Im Kosovo wird es zudem noch Diskussionen geben: Der Koalitionspartner, die Partei von Ex-Premier Ramush Haradinaj, hat schon angekündigt, einer Lösung im Streit um den Gazivoda/Ujmani  See nicht zuzustimmen.

Religions- und gesellschaftspolitische Einigungen

Beide Staaten einigen sich auf verstärkten interreligiösen Dialog und den Schutz der jeweiligen religiösen Stätten. Zudem soll Restitution vorangetrieben werden. Ein wichtiger Punkt, da eine offene klaffende Wunde in der Bevölkerung, ist der Bereich der Information über den Verbleib beziehungsweise die Ruhestätten von seit dem Krieg vermisste Personen. Im Sinne der Menschlichkeit und der Menschen in der gesamten Region ist zu hoffen, dass die Regierungen diesen Punkt sehr ernst nehmen.

Zudem werden Serbien und Kosovo jeweils ein einjähriges Moratorium bezüglich Mitgliedschaft in internationalen Organisationen implementieren. Also im Grunde ebenfalls keine Einigung. Ein großer Streitpunkt ist die Mitgliedschaft Kosovos in internationalen Organisationen. Dieses Ansuchen wird regelmäßig von Serbien torpediert. Was zu der Situation führt, dass Kosovo nicht in Interpol aufgenommen wurde.

Worum geht es Trump?

Wer die Fotos von dem Treffen in Washington gesehen hat und um die Macht von Bildern weiß, dem wurde klar: Der Präsident und der Premierminister zweier europäischer Staaten, auf kleineren Tischen unterzeichnend und wie beim Rapport dem US-Präsidenten gegenübersitzend, waren nicht auf Augenhöhe. Solche Bilder wird man aus Brüssel nie sehen. Wer die Tweets von US-Präsident Trump liest wird feststellen, worum es ihm – wenige Wochen vor den US-Präsidentschaftswahlen – geht. Und das ist weniger der Ausbau von Zugverbindungen in Südosteuropa. Sondern die geopolitische Auswirkung auf den Nahen Osten. Ein legitimer Fokus.

Serbien und Kosovo einigen sich darauf, auf ihren Territorien die Hisbollah als Terrororganisation zu bezeichnen. Das in Verbindung mit der Tatsache, dass Serbien unterschrieb, ab 2021 seine Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, und Kosovo und Israel sich gegenseitig anerkennen, ist der für Donald Trump historische Teil der Einigung. Dementsprechend twitterte er: „Another great day for peace with Middle-East – Muslim-majority Kosovo and Israel have agreed to normalize ties and establish diplomatic relazions. Well-done! […]”.

Laut Jerusalem Post vom 9. September wird Serbien seine Botschaft nicht verlegen, sollte Israel die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen. Soviel zum Thema „historisches Abkommen“.

Anerkennung des Kosovo in Europa

Eine offene Wunde ist immer noch die Nicht-Anerkennung des Kosovo durch fünf EU-Staaten. Doch während sich vier davon dem Land gegenüber aufgeschlossen verhalten (und zum Beispiel am Westbalkangipfel teilnahmen), weigert sich Spanien bis heute, mit Kosovo zusammenzuarbeiten. Diese harte Haltung, begründet auf dem innerstaatlichen Konflikt mit Katalonien, ist ein Bremskeil in der gemeinsamen europäischen Südosteuropa-Politik. Dass nun Israel, das sich aus Furcht vor einem Präzedenzfall bisher weigerte, Kosovo anzuerkennen, dies nun doch tut, macht die spanische Position noch spezieller.

Ein weiterer negativer Aspekt ist die Tatsache, dass die europäischen Staaten weiterhin dem Kosovo – als einzigem Land in Südosteuropa – die Visaliberalisierung vorenthalten. Dies entfernt vor allem die junge Bevölkerung im Kosovo von der EU. Man muss bedenken: Die Ukraine erhielt die Visa-Liberalisierung (was wir als Paneuropa sehr begrüßten), Kosovo muss weiterhin warten. Die Türkei gewährte schon vor längerer Zeit die Visa-Liberalisierung. Es ist also nun für junge Kosovaren leichter in die Türkei zu kommen, als nach Barcelona.

Berichterstattung über „Abkommen“ war gute PR

Kurz nach Unterzeichnung erschienen zig Schlagzeilen, die vom „historischen Abkommen“ verkündeten. Die erfolgreiche PR der US-Regierung schlug voll durch. Wenige Tage nach dem Treffen in Washington fanden wieder Gespräche zu Kosovo–Serbien auf EU-Ebene in Brüssel statt. Dabei ging es wieder um inhaltliche Verhandlungen. Dementsprechend schaffte es dieses Thema nicht als „historisch“ in die Medien.

Muss sich Europa hinterfragen?

Viele Kommentatoren fragen nach der Einigung in Washington nun, wieso „die EU“ dies nicht zustande brachte. Ganz einfach: Die Geopolitik wird de facto vom Rat, also den einzelnen Mitgliedsstaaten gestaltet. Und die haben ihre eigenen Interessen. Während Österreich sich den sechs Westbalkanstaaten klar positiv gegenüber verhält, gibt es auch Hardliner:

Beispiel Spanien und die verweigerte Anerkennung. Doch auch Frankreich, das Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nord-Mazedonien lange blockierte, weil Macron einen Abtausch wollte. Auch Deutschland steht bei der Visaliberalisierung auf der Bremse. Die starke Stellung der USA und Russlands im Kosovo bzw. Serbien sind ein Faktum.

Doch man muss auch klarstellen: „Die EU“ ist der mit Abstand größte Investor und Handelspartner in der Region. Sie finanziert viele Projekte und hat allein zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie für die Region 3,3 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Und sie muss, im Gegensatz zu einzelnen Großmächten die tausende Kilometer entfernt sind, auf viel mehr Interessen Rücksicht nehmen: In der Region sind 27 EU-Staaten und 6 Westbalkan-Staaten involviert, also 33 nationale Interessen zu vereinen. Dazu kommen die Interessen der USA, Chinas, Russlands und der Türkei. Mindestens 37 Player, die in irgendeiner Form eine Rolle spielen. Dagegen ist die Findung einer Kongressmehrheit in Washington oder einer Duma-Mehrheit in Moskau ein Leichtes.

Diese Vielfalt an Interessen unter einen Hut zu bringen, spielt ja in allen Bereichen eine Rolle. Die USA können andere Anbieter aus dem 5G-Netz ausschließen, wenn sie das wollen. Die EU-Kommission muss hier 27 Staaten fragen. Was also tun?

Zudem muss Europa noch andere Faktoren beachten: Serbien und Kosovo liegen in Europa. Es wirkt sich also auch durch die geographische Lage stärker aus. Zudem gibt es noch die Nachwirkungen der blutigen Jugoslawien-Kriege der 90er Jahre in der gesamten Region. Soziale Spannungen und Abwanderung junger Menschen (aus der gesamten Region) spielen für Europa auch faktisch eine viel größere Rolle.

Verantwortung liegt vor Ort

Neben all den (wichtigen) politischen Einigungen auf der großen weltpolitischen Bühne bleiben ja immer noch die Hauptprobleme der Menschen in dieser Region: Mangelnde Perspektiven, soziale Anspannung, Arbeitslosigkeit, das Bestehen im täglichen Leben. Hier helfen Abkommen und Wünsche aus Brüssel und Washington wenig, hier braucht es vor allem einen Mentalitätswechsel bei den Verantwortlichen in der Region direkt.