Russland ist ein durch und durch korruptes Staatswesen. Diese Erfahrung mussten viele Unternehmen machen, die in dem Land investiert haben. Die meisten wurden dann enteignet bzw. bestohlen. Seine Investitionen zurückbekommen hat bisher ein Unternehmer. Seine Geschichte ist ein Beispiel für das Funktionieren des Systems Putin und die Schwäche des Westens.
Noch zu Zeiten der Sowjetunion kam Franz Sedelmayer nach Leningrad. Heute heißt die Stadt wieder St. Petersburg. Er baute dort ein Unternehmen auf. Machte gute Geschäfte, hatte zirka 500 Mitarbeiter in seinem Unternehmen, und wurde 1996 enteignet. Das Unternehmen war im Sicherheitsbereich tätig. Sedelmayer brachte moderne Ausrüstung in die damals komplett marode UdSSR und bildete Spezialeinheiten der Polizei aus.
In St. Petersburg hatte er unter anderem mit einem Mann zu tun, der heute vom Kriegsverbrechertribunal wegen Kriegsverbrechen angeklagt ist: Vladimir Putin. Er war damals die rechte Hand des St. Petersburger Bürgermeisters Sobtschak. Putin war für die Auslandsinvestitionen zuständig, wobei seine wichtigste Aufgabe darin bestand, dem korrupten Bürgermeister den Rücken frei zu halten. Wie Franz Sedelmayer bei einer Veranstaltung der Paneuropabewegung in Wien erzählt, hatte Putin eine gewisse Sympathie für Deutsche. Aber er war kalt, teilnahmslos, besaß als ausgebildeter KGB-Mann die Fähigkeit, sich seinem Gegenüber so zu präsentieren, wie der dies erwartete.
Das Unternehmen von Franz Sedelmayer war eine US-Firma. Als Deutscher hatte er nach seiner Enteignung durch Präsidialdekret das Recht auf eine Schiedsgerichtsklage. Diese Klage war auch erfolgreich. Doch die Russen wollten nicht zahlen. Also musste er nach Vermögenswerten Russlands im Ausland suchen. Aufgrund der durchgehenden Korruption landeten viele Staatseinnahmen Russlands in privaten Händen. So beispielsweise auch die Gebühren für Luftfahrtsrechte, die ausländische Luftlinien für Flüge über russisches Hoheitsgebiet zahlen mussten.
15 Jahre Kampf um die Entschädigung
Sedelmayer versuchte also einen Titel für derartige Zahlungen zu bekommen. Er scheiterte damit. Erfolg hatte er letztlich bei russischen Immobilien im Ausland. 15 Jahre nach der Enteignung hatte er sein Geld wieder zurück. Bisher ist er der einzige, der eine Entschädigung bekommen hat, obwohl es zahlreiche Verfahren gibt. Auch ukrainische Unternehmen haben Anspruch auf Entschädigungen durch Russland, aber das Land zahlt nicht.
Die Schwierigkeiten an die Entschädigung heranzukommen lagen für Franz Sedelmayer aber nicht nur am korrupten System Russland, sondern auch an der politischen Schwäche im Westen. So erzählte er die abenteuerliche Geschichte von Behinderungen durch den deutschen Staat, als er versuchte russische Vermögenswerte bei einer Luftfahrtmesse in Deutschland zu beschlagnahmen. Angeblich konnten die deutschen Behörden, so das Gericht, keine Vermögenswerte finden.
Das Gericht weist an nichts zu finden
Der Gerichtsvollzieher gab an, dass er auf Anweisung des Gerichtes nichts finden konnte. Er wurde aber dann doch fündig. Allerdings wurde Franz Sedelmayer gemeinsam mit seinem gleichnamigen Vater (der noch länger festgehalten wurde als er selbst) und einem Journalistenteam, das die Geschichte dokumentieren wollte, ganz einfach festgehalten. Nach seiner kurzfristigen Freilassung (die Festnahme war sowieso illegal) wurde er auf der Luftfahrtmesse erneut festgehalten.
Schwäche des Westens gegenüber Russland
Sechs Wochen lang hatte sich der deutsche Staat vorbereitet, um die Vollstreckung zu verhindern. Telefone wurden dazu ohne richterliche Genehmigung abgehört. Ein Staatssekretär aus dem Bundeskanzleramt hatte ihn angerufen, um ihn von der Vollstreckung abzubringen, denn das könnte in einen Krieg führen. Die Geschichte ist ein Beispiel für die politische Schwäche gegenüber Russland. In allen Details nachlesen kann man diese Geschichte in dem bereits 2017 erschienenen Buch „Welcome to Putingrad“, das Franz Sedelmayer gemeinsam mit John Weisman geschrieben hat.
Bei der Veranstaltung mit Franz Sedelmayer, zu der unter dem Titel „Russlands strammer Marsch in den Totalitarismus“ auch Organisationen wie die Studentenverbindung KÖL Maximiliana oder der VLÖ eingeladen hatten, ging es aber nicht nur um die Geschichte des enteigneten Unternehmens, sondern vor allem um die aktuelle Lage im Krieg Russlands gegen die Ukraine, der mit der Annexion der Krim 2014 begonnen hat.
Die Lage ist ein Beispiel für die politische Schwäche des Westens. Nach wie vor, so Franz Sedelmayer, konnte man sich nicht darauf einigen, ein Ziel des Krieges zu definieren. Der Westen geht nicht gemeinsam vor. Einzelne Staaten verfolgen nach wie vor eigene Inter-
essen. 70 Prozent der Kapitalinvestitionen aus dem Westen sind nach wie vor in Russland aktiv. Allerdings wurden in jüngster Vergangenheit wieder zahlreiche westliche Investoren, die gemeint hatten, wenn sie bleiben, wären sie auf der sicheren Seite, kalt enteignet.
Es braucht ein Embargo wie im Kalten Krieg
Nach wie vor kann sich Russland alles organisieren was es braucht. Die Sanktionen sind zu schwach. Vor allem sind sie leicht zu umgehen. Die Statistiken über die Entwicklungen der Handelsbeziehungen zwischen Russland und Drittstaaten und diesen Drittstaaten mit westlichen Ländern zeigen klar, wie die Sanktionen umgangen werden. Sedelmayer erinnert in diesem Zusammenhang an den Kalten Krieg, in dem es nicht nur Sanktionen sondern ein Embargo gab, das auch gegen Dritte wirkte. Das bedeutet, dass ein Unternehmen aus einem anderen Land, das ein Geschäft mit dem unter Embargo stehenden Land macht, in dem Land, das sich dem Embargo angeschlossen hat, keine Chance mehr hat, geschäftlich tätig zu sein.
Dass Putin die volle Invasion der Ukraine gewagt hat, liegt für Franz Sedelmayer unter anderem in den erfolgreichen Tests, die er absolviert hat. Der Krieg gegen Georgien 2008 blieb ohne Konsequenzen. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident, hatten als Vermittler bei Putin um Frieden gebettelt. Beim Überfall auf die Krim 2014 ging es für Putin um den Zugang zum Meer. Wobei er dazu keinen Krieg gebraucht hätte, denn der Meerzugang war durch Verträge abgesichert. Auch die Annexion der Krim und der Einmarsch im Donbas blieben ohne Folgen.
Europa muss lernen Stärke zu zeigen
Europa und die westliche Welt waren nicht in der Lage Stärke zu zeigen. Eine gemeinsame Linie hat gefehlt. Für Putin ist der Krieg auch eine Möglichkeit seine Hausmacht zu sichern. Annahmen, dass Putin bei einer Niederlage entmachtet werden könnte, teilt Franz Sedelmayer, der mit Putin einst in St. Petersburg bekannt war, nicht. Er bleibt nach seiner Beurteilung an der Macht, solange er gesund ist. Das liegt unter anderem daran, dass es in Russland keine Opposition gibt. Vielleicht drei Prozent der Bevölkerung, so eine vorsichtige Schätzung des enteigneten Unternehmers, könne man einer Opposition zurechnen. Für die restlichen 97 Prozent bestimmt das kollektive Gedächtnis das Stillhalteverhalten. Über Generationen haben die Russen gelernt, dass Kritik am System sehr schnell tödlich enden kann. Die Anpassung ist ein Selbstschutz und ein Schutz für die Familie.
Russland kann kein freies System entwickeln
Von sich aus, so die klare Beurteilung, kann Russland kein freies System entwickeln. Das hat es in Russland nie gegeben. Dass der Krieg in der Ukraine für Moskau nicht so läuft, wie das von Putin angenommen wurde, liegt allerdings auch auf der Hand. Es ist dies eine Folge der massiven Korruption in der Armee. So wurden Einheiten vorgetäuscht, die gar nicht existiert haben. So konnten Offiziere Gelder für Mannschaften kassieren, die gar nicht vorhanden waren. Die Unteroffiziere in der alten sowjetischen Armee kamen normalerweise aus der Ukraine. Am Schlachtfeld sind die Unteroffiziere entscheidend für die Führung der Kampftruppen. Der russischen Armee haben diese Unteroffiziere gefehlt. Aber Moskau hat aus den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre gelernt und einige Reformen begonnen.
Träumereien von einem möglichst schnellen Frieden teilt Franz Sedelmayer nicht. Sollte es zu einem vorläufigen Kriegsende mit Territorialgewinnen für Russland kommen (also einen Sieg Russlands), wäre das kein Friede. Innerhalb kurzer Zeit würde Putin den nächsten Krieg beginnen, der dann wahrscheinlich auch direkt ein Nato-Land betreffen würde.