Politik arbeitet immer mehr mit Schlagworten. Das kommt gut an, sonst würde es nicht gemacht. Die inhaltliche Richtung wird dadurch verschleiert. Ein Kommentar von Karl von Habsburg
Der Begriff der Subsidiarität – in diesem Blog wurde bereits mehrfach darüber geschrieben – wird gerne dazu verwendet, von einer europäischen Politik abzulenken und die eigene nationale Politik zu stärken. Das mag aufgrund vieler bürokratischer Entscheidungen, die von den Nationalstaaten auf europäische Ebene gehoben wurden, um sie abseits der Öffentlichkeit durchzuboxen, bei vielen Wählern gut ankommen, geht aber am eigentlichen Inhalt vorbei. Letztlich lenkt es nur von der Unwilligkeit ab, sich den wahren Herausforderungen zu stellen.
Geradezu ein Klassiker in der Kategorie Missbrauch eines Begriffes ist die Bezeichnung „konservativ“. Konservativ drückt eine Wertehaltung aus, die auf Freiheit und Eigenverantwortung, Familie, Grundhaltung und Prinzipien, Eigentum und Rechtsstaatlichkeit, Respekt und Achtung, Tradition, etc. beruht. Aber wie oft mussten wir es schon erleben, dass sowjetische Betonköpfe in Moskau, in der Vergangenheit lebende Verschwörungstheoretiker oder Strukturbewahrer als „Konservative“ bezeichnet wurden?
Vereinigte Staaten von Europa?
Ein Schlagwort, das ebenfalls sehr gerne in Diskussionen über die Zukunft der EU verwendet wird, ist das von den „Vereinigten Staaten von Europa“. Die einen verwenden den Begriff, weil sie damit die Hoffnung auf einen europäischen Staat mit Wirtschaftsregierung, Schuldenunion, Sozialunion transportieren wollen. Die anderen verwenden den Begriff als abschreckendes Beispiel vor einem zentralistischen Europa. Ihnen gilt der Nationalstaat als Ideal. Dabei vergessen sie gerne, dass der Nationalstaat von heute wesentlich zentralistischer und bürokratischer ist, als sie es der EU vorwerfen.
In den EU-Verträgen ist als Ziel eine „immer engere Union“ festgeschrieben. Doch was bedeutet eine immer engere Union? Als man diese Formulierung in die Verträge aufgenommen hat, brachte sie die Hoffnung zum Ausdruck, in Europa den Krieg endgültig zu eliminieren und Frieden und Freiheit für seine Bürger zu schaffen. Heute gilt diese Zieldefinition – ähnlich wie die Vereinigten Staaten von Europa – als Drohszenario eines alles regulierenden Europa. Dass der existierende paternalistische Wohlfahrtsstaat auf nationaler Ebene nichts anderes, eben nur auf kleinerer Ebene, ist, wird gerne übersehen. Der Staat war, als diese „engere Union“ angestrebt wurde, wesentlich bescheidener. Die Regulierungsdichte von damals gilt heutigen Bürokraten wohl schon als Vorstufe der Anarchie. Bei der damals gegebenen Steuerhöhe würden heutige Wohlfahrtsideologen wohl fürchten, dass die Bürger mit dem vielen Geld, das ihnen mehr von ihrem Einkommen bliebe, völlig falsche Investitionen tätigen würden, weil sie offenbar nicht in der Lage sind, für sich selbst und ihre Familie Verantwortung zu tragen.
Europäischer Grenzschutz
Ähnliches kann man in den vielen Reden beobachten, die heute über die Weiterentwicklung der EU gehalten werden. Seit der unkontrollierten Einwanderungswelle von 2015 hört man ständig Bekenntnisse zu einem europäischen Grenzschutz. Schaut man sich genau an, was damit offenbar gemeint ist, dann soll der Grenzschutz (entgegen den ursprünglichen Absichten bei der Schaffung des Schengen-Raumes) weiter in der Hand der Nationalstaaten bleiben, aber die Zusammenarbeit soll intensiviert werden. Man darf sich dann nicht wundern, wenn die EU-Kommission diese Wünsche als recht teuer entlarvt.
Tatsächlich würde ein europäischer Grenzschutz bedeuten, dass man eine europäische Grenzschutzeinheit bildet, die mit allen notwendigen Mitteln, von der Technik bis zum Personal, ausgestattet ist. Doppelgleisigkeiten auf nationaler Ebene könnten damit abgebaut werden. Aber welcher Innenminister will schon auf diese Kompetenz verzichten?
Es ist den verantwortlichen Politikern nicht zu verdenken, wenn sie diese Politik der Schlagworte weiter betreiben, solange damit die gewünschten Effekte, nämlich Stimmen bei Wahlen und damit Zugang zu Ämtern, Geld und Macht, erreicht werden können. Dass diese Politik kurzfristig angelegt und damit gefährlich ist, zeigt uns aber die Vielzahl der ungelösten Herausforderungen, vor denen wir in Europa stehen.
Wenn wir diese Herausforderungen lösen wollen, dann müssen wir wieder bereit sein, harte politische Diskussionen zu führen, die über diese Schlagworte hinaus gehen. Dann wird es auch notwendig sein, wieder klar zu definieren, was denn mit bestimmten Begriffen tatsächlich gemeint ist. Das ist auch eine Herausforderung für eine reife Bürgergesellschaft.
Der Artikel erschien urprünglich auf der Seite von Karl von Habsburg.