Belehrungen sind unangebracht

Wahlen in den USA sind für manche Europäer Anlass, mit Verachtung auf das dortige System zu blicken. Kritik an der US-Politik ist natürlich legitim, man sollte dabei aber nicht ganz den Blick auf die eigene Lage verlieren. Angesichts mancher Vorfälle hier, sind Belehrungen am System der USA nicht angebracht. Ein Kommentar von Stefan Haböck, Internationaler Referent der Paneuropabewegung Österreich.

Die USA haben ihren Präsidenten gewählt und es war eine spannende Woche. Das Interesse daran, wer Präsident der größten politischen Macht wird ist natürlich enorm. Die Berichterstattung darüber ist aber mittlerweile völlig aus den Fugen geraten und steht in keiner vernünftigen Relation zu anderen Vorgängen in Europa und der Welt. Die Obsession nicht nur mit Trump, sondern mit der US-Innenpolitik an sich, ist grenzenlos. Während das Jogging-Video der zukünftigen Vizepräsidentin im Detail analysiert wird, verschieben andere Mächte im Kaukasus militärisch Grenzen.

Faszination und Verachtung

Auffällig ist, wie sehr sich in die Faszination der (zweifellos) unterhaltsamen und wichtigen US-Politik auch ein Grad an Verachtung mischt. So als handle es sich bei den USA nicht um eine altehrwürdige Demokratie – mit allen Fehlern und Mängeln, wie es sie in jedem westlichen Staat auch gibt – mit funktionierender Checks-and-Balances, in der ständig Machtwechsel stattfinden und Abgeordnete und Senatoren direkt gewählt werden, sondern um eine drittklassige Autokratie.

Keine Frage, Trump ist in seiner Art eine Ausnahmeerscheinung in der westlichen Welt. Seine charakterlichen Defizite sind nicht nur offensichtlich, er setzt sie auch gezielt dazu ein, Politik und Stimmung zu machen. Niemand würde es wagen, öffentlich so über Frauen oder verschiedene Gruppen herzuziehen. Doch, stimmt das? Ist es bei uns viel besser, wie es die mediale Verachtung Trump gegenüber suggeriert?

Mitnichten. Natürlich, beim mächtigsten Mann der Welt mit Twitter-Account kommt niemand an seinen Tiraden vorbei.

Frauenfeindlichkeit und Korruption sind immer ein Problem

Im Jahre 2016 beleidigte der slowakische Premierminister eine Journalistin . Es gab einen kurzen Aufschrei, Konsequenzen aber keine. Seine Parteienfamilie, sonst für feministische Positionen bekannt, zuckte mit den Schultern. Schlussendlich musste er doch gehen. Er wurde durch Bürgerproteste vertrieben, nachdem die Korruption im Land in einem Mord an zwei jungen Menschen gipfelte.

Doch das ist nur ein Beispiel. In verschiedenen Ländern wüteten korrupte – aber gewählte – Cliquen gegen den Rechtsstaat. Auch hier oft Schweigen der Parteienfamilie. Liviu Dragnea wurde in Rumänien gewählt, bevor er Korruption straffrei stellen wollte, um seine Freunde zu schützen.

Man schüttelt den Kopf über die offiziellen, steuerfinanzierten Anlässe, die Donald Trump in seinen Ressorts abhalten ließ. Aber: Auch in manchen stark subventionierten Staaten wurden die Angehörigen der jeweiligen Regierungschefs plötzlich wohlhabend.

Nur Amerika handelt mit Waffen

Die USA stehen für Militarismus, und niemals würden europäische Staaten Waffendeals mit autoritären Systemen machen. Oder? 2019 gingen 1/3 aller deutschen Waffenexporte an die Türkei. Viele Waffenexporte europäischer Staaten gehen auch an die Militärdiktatur in Ägypten und an Katar.

Protektionismus – Made in USA?

Donald Trump gilt mit seinem America First als Protektionist. Niemals würde sich Europa dem Freihandel verschließen. Außer bei fast jedem Freihandelsvertrag. Singapur musste über 90 geschützte Herkunftsbezeichnungen akzeptieren, die die EU-Regierungen in das Abkommen verhandelten. Aber das ist nur eine Kleinigkeit: Wenn es um Handel mit Kanada geht (einer der demokratischsten und freiesten Länder der Erde), schalten Europas Medien, NGOs und Politiker in den Abwehrmechanismus. Nirgendwo werden Handelsabkommen – der stärkste Hebel europäischer Geopolitik – so stark bekämpft wie in Europa.

Nationalismus und Hetze

Und America First ist ja auch noch xenophob. Niemals würde so etwas bei uns durchgehen. Außer es handelt sich um eine ausländerfeindliche Kampagne im Vereinigten Königreich, in der arbeitende Polen verunglimpft werden. In Polen beschwören manche Politiker das „polnische Blut“.

In Frankreich erreichten bei der vergangenen Präsidentschaftswahl in der ersten Runde die rechtsextreme Partei und der linksextreme Kandidat zusammen mehr als 40% der Stimmen. Beide radikale Nationalisten. Aus Deutschland saß – wegen nicht vorhandener Hürde bei den EU-Wahlen – ein Vertreter der NDP im Europäischen Parlament.

Die Medien sind in den USA viel schlechter?

Weil man sich in Europa auch um die Medienlandschaft in den USA sorgt: Es war auch im Vereinigten Königreich, in dem der Boulevard die Fotos und Namen von drei Richtern auf die Titelseite stellte mit der Überschrift: „Enemy of the people“. Die Zeitung ist eine der meistgelesenen im UK, gehört einem reichen Viscount. Und wird vor allem von Frauen gelesen. Der für die Titelseite verantwortliche Redakteur wurde 2017 Pressesprecher der Premierministerin Theresa May. Thema war das keines, denn 2017 lachte man über Anthony Scaramucci.

In Europa wurden 2018 drei Journalisten ermordet. Daphne Gilizia auf Malta, Jan Kuciak in der Slowakei und Viktoria Marinowa in Bulgarien. Alle drei recherchierten zu Korruption in ihrem jeweiligen Land. Auch wenn der Mord an Marinowa nicht in Verbindung zu ihrer Arbeit stand, sind mit der Verlobten von Jan Kuciak, Martina Kušnírová, im Jahr 2018 drei Menschen in Zusammenhang mit journalistischer Arbeit ermordet worden.

Geschichtsverzerrung und Überhöhung

In Südosteuropa blockiert ein Land zwei Jahrzehnte seinen Nachbarn – wegen eines Streites um eine historische Region. Als Retourkutsche gab es  – mit Steuergeldern finanzierte – 25 Meter hohe Statuen als Reverenz an die eigene Vergangenheit. Kaum war dieser Streit beigelegt, fing das nächste EU-Land an, mit nationalistischen Parolen und historischen Verdrehungen den Nachbarn in seinem Fortkommen zu blockieren. Mazedonisch sei nur ein bulgarischer Dialekt – das solle anerkannt werden, ansonsten: Kein EU-Beitritt. (Anmerkung: In einer gemeinsamen Erklärung haben die beiden Paneuropa-Organisationen in Bulgarien und Mazedonien dazu aufgerufen, gemeinsam für die europäische Zukunft zu arbeiten.)

Der Supreme Court in Washington und der EuGH in Straßburg?

Aufsehen erregte auch die Nominierung einer neuen Richterin für den Supreme Court durch den US-Präsidenten. Wieso die Besetzung eines Richterpostens auf einem anderen Kontinent Leute, die sicher nicht wissen, wer der Vertreter des eigenen Landes am (für Europa relevanteren) EuGH ist, so aufregt, ist ein Rätsel. Manche, die sonst das „EU-Gericht“ in Straßburg vermuten (wo sich der Gerichtshof des Europarates befindet), kannten dafür alle Details des Bestellungsprozederes für den Supreme Court der USA.

Und zu guter Letzt wird auch immer das Wahlsystem der USA kritisiert. Veraltet, kurios, nicht für moderne Zeiten tauglich. Da können Italien mit 66 Nachkriegsregierungen und Belgien mit 600 Tagen ohne Regierung nicht mithalten.

Hetze darf keinen Platz haben – egal auf welcher Seite des Atlantiks

Mit Verachtung auf andere Länder zu blicken ist schon prinzipiell eine unangenehme Eigenschaft. Es ist Aufgabe aller Demokraten dafür zu sorgen, dass Demokratie geschützt wird, Menschen-, Bürger- und Freiheitsrechte nicht beschnitten werden und Hass und Hetze als Mittel der politischen Rhetorik nicht erfolgreich sein können, egal in welchem Land.

Beitragsbild: Weisses Haus, c Europäische Union 2018 Etienne Ansotte