Ein Schachspiel lebt nicht nur vom nächsten Zug, entscheidend ist meistens das vorgedachte, übernächste Manöver. Ein Kommentar von Lukas Leitner.
Eine kurze Rückblende in den politischen Frühling: Das Duell um bessere Persönlichkeitswerte konnte Christian Kern nicht gewinnen. Der Wahlkampf der ÖVP setzte (kommunikationsstrategisch richtig) ab dem Frühjahr ausschließlich auf ihren neuen Kanzlerkandidaten Sebastian Kurz und negierte jede aufkeimende inhaltliche Diskussion – eine kommunikative „Wellness-Strategie“ ward geboren. Und Heinz-Christian Strache ging (zunächst) in Deckung. Er verschanzte sich hinter Urlaubs- und Privatthemen, die inhaltliche Auseinandersetzung wurde bis wenige Tage vor dem Wahltermin am 15. Oktober gemieden. Die Themen des Wahlkampfes gaben bald die ÖVP-Strategen mit sequentiellen Veröffentlichungen des Wahlprogrammes einseitig vor, während die SPÖ in ihrem Chaos eines inferioren Wahlkampfteams inhaltlich unterging.
Das Ergebnis kam, wie es kommen musste: Der telegene und unverbrauchte Herausforderer gewann, die SPÖ stagnierte bzw. legte trotz Wahlkampfchaos überraschend leicht zu und die FPÖ machte mit ihrem eigentlich desaströsen Wiener Landesergebnis die guten Zugewinne in den übrigen Bundesländern zunichte. Digitale Plattformen erzeugten zudem in vielen Zielgruppen sogenannte „Echokammern“ oder „Blasen“: Jeder bekam Nachrichten, die seine Meinung noch verstärkten. Aus der Wahl des österreichischen Nationalrates wurde kommunikativ ein Dreikampf um die Position des Bundeskanzlers, die kleineren Parteien blieben dabei auf der Strecke.
Eine Koalition mit genetischem Defekt?
Und nun? ÖVP und FPÖ als die beiden Wahlgewinner wären gut beraten, ohne Vorurteile aufeinander zuzugehen. Jedes Schachspiel lebt ja auch von der Überraschung – eine schnelle Regierungsbildung würde automatisch Pluspunkte für alle handelnden Personen mit sich bringen: Der Souverän erwartet sich mit Recht rasche Handlungsfähigkeit. Die FPÖ täte gut daran, sich von (aus Sicht der FPÖ verständlichen) Verwundungen des in den letzten Jahren an den Tag gelegten Umganges der ÖVP mit der FPÖ zu verabschieden und auf den potentiellen Partner offen zuzugehen. Beide „Lager“ könnten dabei viel von erfolgreichen Marken lernen: Man soll nur dann kommunizieren, wenn man eine klare Aussage hat. Relevanz lautet das Zauberwort, mit der sich Kommunikation und Werbung automatisch legitimiert. Die Zeit der vagen Andeutungen ist mit dem Wahlabend vorbei.
Faktum ist: Wenn es Sebastian Kurz gelingt, mit seinem Programm nun auch noch rasch eine tragfähige Regierungskoalition zustandezubringen und ihm mit seinem Regierungspartner in den nächsten fünf Jahren die versprochenen Reformen, v.a. die Entlastung der arbeitenden Bevölkerung mit einer Steuerreform und eine parallele Entlastung der Selbständigen, gelingen, wird ihm auch 2022 der nächste Wahlerfolg nicht zu nehmen sein. Und auch die FPÖ könnte ihren fairen Anteil an einem möglichen Wahlsieg bekommen. Bernhard Görg, ein ehemaliger „Juniorpartner“ der SPÖ in Wien, meinte einst: „Jede große Koalition hat einen genetischen Defekt, nämlich dass der Juniorpartner nichts anderes im Sinn hat, als die Nummer 1 vom Thron zu stoßen“. Diesen Defekt gilt es, auf Seiten der FPÖ zu überwinden.
Schachmatt oder Verantwortung?
Wenn es nach alten Denkmustern der Parteien geht, ist es jedoch fraglich, ob SPÖ und FPÖ dem strahlenden Wahlsieger Kurz seinen Erfolg gönnen wollen – und nicht vielmehr alles dazu tun werden, ihn von der künftigen Regierung unter allen Umständen fernzuhalten. Wenn nun Sebastian Kurz am Sonntag Abend meint, „ich nehme die Verantwortung mit großer Demut an“, wird sich jedenfalls noch zeigen, ob ihm FPÖ und SPÖ diese Verantwortung auch tatsächlich übertragen werden – oder gemeinsam in einer strategisch angelegten „Verhinderungskoalition“ ein vorzeitiges Schachmatt für Sebastian Kurz versuchen wollen. „Zeit für Neues“ hieß ein zentraler Slogan von Sebastian Kurz, ausgemacht ist dies noch lange nicht.
Mag. Lukas Leitner ist Gesellschafter der Cayenne Marketingagentur GmbH (Wien).
Paneuropa-Nachwahlanalyse.
Teil 1: „Der nächste Zug?“ von Lukas Leitner.
Teil 2: „Linke Defizite als Väter des Rechtsrucks“ von Wilhelm Ortmayr.
Teil 3: „Fünf Gewinner, ein Verlierer“ von Patrick Minar