Ein Kompromiss macht den Weg frei in die EU. Alles gut, oder?

Es ist vollbracht – nach fast einem Viertel Jahrhundert Namensstreit, haben sich Griechenland und Mazedonien geeinigt. Mazedonien, im internationalen Jargon bisher demütigend „FYROM“ genannt, soll demnächst „Republik Nord-Mazedonien“ heißen. Dafür macht Griechenland den Weg frei für die Aufnahme des südosteuropäischen Landes in die Nato und EU. Noch scheint uns gar nicht klar zu sein, welch historischer Schritt am Prespasee gesetzt wurde. Glückliches Ende, oder? Es lohnt sich jedoch, auch einen Blick auf die mazedonische Seite zu werfen. Dort muss die Verfassung geändert und das Volk noch befragt werden. Unterzeichnet ist das Abkommen, durch jedoch noch nicht.

Ein Kommentar von Stefan Haböck, Internationaler Referent der Paneuropabewegung Österreich.

Zwei Mal hatte ich dieses Jahr schon die Freude, Mazedonien zu besuchen. Das südosteuropäische Land, welches Teil Jugoslawiens war und sich 1991 unabhängig erklärte, ist für viele Menschen in Österreich ein unbeschriebenes Blatt. Man kennt den Streit um den Namen, aber sonst weiß man eher wenig, will man nicht zurückgehen bis Alexander den Großen.

Mazedonien will in die Nato und die EU – diese Klammer eint die Politik

Mazedonien, seit 2005 Beitrittskandidat der EU, ist landschaftlich ein wunderbares Land. Wie überhaupt der gesamte Balkan. Politisch und wirtschaftlich ist es ein klassisches Transformationsland. Wie alle vom Sozialismus ruinierten Regionen dieser Erde, musste auch in Mazedonien viel neu aufgebaut werden. Das dauert und erfordert Ruhe, kühlen Kopf und Unterstützung. Die politischen Lager sind durch jahrelangen Kampf geteilt. Geeint sind jedoch alle in der Überzeugung, dass eine positive Entwicklung des Landes ausschließlich als Mitglied der Europäischen Union erfolgen kann.

Die griechische Blockade lähmte auch das Land

Dass hierzu noch viele Reformen umzusetzen sind ist klar. Die Politik muss hier handeln. 13 Jahre warten die Bürgerinnen und Bürger nun darauf, dass die europäischen Staaten ihrerseits das Land unterstützen. Aber man muss auch streng gegenüber der mazedonischen Politik sein: Die Umsetzung von Reformen im Bereich Rechtsstaatlichkeit, Wirtschaft oder Freiheit der Medien, obliegt alleine ihr. Der Konflikt mit dem Nachbarn stand über einer nachhaltigen Reformagenda.

Aber: Selbst bei Erfüllung aller Kriterien, hätte Mazedonien bis heute nicht in die EU aufgenommen werden können. Warum? Ein EU-Staat blockiert seit Anbeginn in den zuständigen Gremien. Griechenland. Der Grund erscheint uns banal – geht aber tief hinein in die Geschichte des Balkans und handelt von Nationalstolz, Kränkungen und teils reinem Nationalismus.

Ein Name als Zankapfel – wem gehört die historische Region?

Sich selbst bezeichnet Mazedonien als „Republik Mazedonien“. Kein Problem, wäre da nicht die Region Makedonien in Griechenland. Und das historische „Makedonien“ von Alexander dem Großen. Eine Anerkennung des Namens „Republik Mazedonien“ würde Gebietsansprüche in Griechenland zur Folge haben, so die Behauptung Griechenlands. Mazedonien konterte: Die Geschichte des Landes und der Region geht zurück auf Alexander den Großen – das heutige Mazedonien ist ganz klar Nachfolger des historischen. Untermauert wurden diese Aussagen mit dem Bau von Kolossalstatuen in Skopje. Alexander der Große, Philipp der II. – teilweise 26 Meter hoch. Eine Provokation der politisch Verantwortlichen auf beiden Seiten jagte die nächste.

Mazedonien erlebte eine wechselvolle Geschichte – Besetzung durch das Osmanische Reich, Aufteilung zwischen Serbien, Griechenland und Albanien, Teil Jugoslawiens. Solche Regionen sind immer gekennzeichnet von der Suche nach Identität und historischen Wurzeln. Erschwert wurde die Thematik auch durch innerstaatliche ethnische Konflikte zwischen Mazedoniern und ethnischen Albanern, die über 25% der Bevölkerung stellen. Ethnische Konflikte sind immer problematisch, am Balkan führten diese zu den brutalsten Kriegen der Neuzeit.

Wenn man sich selbst nicht als „Mazedonier“ bezeichnen darf…

Ich habe Verständnis dafür, dass in Mazedonien Skepsis herrschte über die neugeschlossene Vereinbarung. Man muss sich in Erinnerung rufen, was es mit einem Volk macht, dessen unabhängiges Land rund 25 Jahre lang vom Nachbarn blockiert wird. Das seinen Namen nicht frei wählen darf. Und das kurz davor stand, seine eigene Sprache nicht als „mazedonisch“ bezeichnen zu dürfen, weil der größere Nachbar dies nicht erlaubte.

Als Paneuropa haben wir die Blockade Griechenlands scharf kritisiert.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ein wichtiges Prinzip, das auch für Mazedonien gelten muss. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass in Europa die Staaten sich gegenseitig unterstützen sollen in einer positiven Entwicklung, nicht blockieren. Nationalismus ist das größte Gift in Europa, das zeigten schon die beiden Weltkriege und die Vernichtungsfeldzüge am Balkan.

Europa bedeutet Aussöhnung. Der Balkan bietet sich da an.

Was wir nach den Weltkriegen gelernt haben, war die Versöhnung. Europa bedeutet Versöhnung. Das habe ich schon 2017 zu Serbien und Kosovo geschrieben und dabei das Bild von Helmut Kohl und Francois Mitterand in Verdun paraphrasiert. Auch beim Konflikt Mazedonien – Griechenland geht es a la longue um Versöhnung. Zugeben, beide Seiten haben Fehler begangen. Es ist Unrecht geschehen.

Ein deutliches Signal!

Und hier kommen wir zu dem historischen Ereignis, welches sich Mitte Juni an besagtem Prespasee ereignet hat. In Anwesenheit von EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn und EU-Außenbeauftragter Federica Mogherini, unterzeichneten die Außenminister Dimitrov und Kotzias die Vereinbarung, welche die beiden Premierminister Alexis Tsipras und Zoran Zaev ausverhandelt haben. Und das mitten in der griechisch-mazedonisch-albanischen Grenzregion. Man kann nur erahnen was Matthew Nimetz dabei empfand. Jener Mann, der seit 24 Jahren als UN-Spezialgesandter zwischen beiden Ländern verhandelte, um eine Lösung im Namensstreit zu erreichen.

Mut statt Nationalismus, Kompromiss statt Konflikt

Ich persönlich bin voll des Respekts für beide Premierminister für diese Vereinbarung. Beide haben ihr politisches Schicksal damit verknüpft. Der griechische Premier hat erst am Tag vor der Unterzeichnung knapp ein Misstrauensvotum im Parlament überstanden. Ein Politiker der rechtsextremen „Goldenen Morgenröte“ rief dazu auf, dass das Militär die Regierung verhaften müsse. Man muss sich hier auch vorstellen, welcher Druck hier herrscht.

Der entscheidende Schritt zur Umsetzung des Abkommens kommt aber erst: In Mazedonien muss die Verfassung geändert werden. Dazu soll im Herbst ein Referendum abgehalten werden. Seit Wochen demonstrieren Teile der Opposition gegen das Ergebnis, ebenso wie in Griechenland. Das ist das gute Recht in Demokratien und muss nicht näher bewertet werden. Eine innerstaatliche Debatte um das Abkommen muss es geben. Es müssen die Vor- und Nachteile benannt und abgewogen werden. Dies muss man dem Transformationsland zugestehen, eine Demokratie muss sich entwickeln und kann nie oktroyiert werden.

Deutlich abzulehnen hingegen sind die Ausschreitungen der Nationalisten, die, teilweise mit Russland-Fahnen in der Hand, radikal gegen das Abkommen demonstrieren.

So verständlich das mulmige Gefühl vieler Mazedonier ist, dass man vielleicht nur als „Mazedonier 2. Klasse“ angesehen wird seitens Griechenland und der Europäischen Union, so klar muss man sich vom vulgären Nationalismus distanzieren.

Im Grunde kann man das Ergebnis pragmatisch sehen. Griechenland sitzt leider als Mitglied der EU und der Nato am längeren Ast und kann deswegen Mazedonien noch weitere 25 Jahre blockieren. Weswegen die Einigung auf „Republik Nord-Mazedonien“ ein gangbarer Weg ist, solange den Menschen zugestanden wird, sich selbst als „Mazedonier“ zu bezeichnen.

Bei den Reisen am Balkan erlebt man immer wieder, wie verrückt Nationalismus ist. Während sich Politiker streiten, welches Land eine längere Geschichte mit einem Feldherren hat, hören die Menschen abends selbstverständlich serbische Musik, während sie bulgarischen Salat, türkisches Baklava und bosnische Cevapcici essen. Rakija gibt es in jedem Land. Und Ajvar mag wirklich jeder zwischen Zagreb und Istanbul.

Es kommt zusammen, was zusammengehört: Ein in Frieden vereintes Europa, in dem die Regionen miteinander handeln, künstlich geschaffene Grenzen abgebaut und auch Minderheiten im jeweiligen Nachbarland geschützt werden. Mazedonien ist ein zutiefst europäisches Land und soll daher auch so rasch als möglich Mitglied der Europäischen Union werden. Seite an Seite mit seinen griechischen und albanischen Nachbarn.

Wenn das unterzeichnete Abkommen vom Prespersee dies ermöglicht, dann hat es unsere vollste Zustimmung.

Beitragsbild: Michael Karnitschnig | Büro Hahn