Wertehaltungen dienen auch als Leitlinie für die Außenpolitik. Doch was, wenn nicht mehr klar ist, wofür Europa in der Wertepolitik denn steht? Ein Kommentar von Karl von Habsburg.
Anfang Februar verabschiedete das Präsidium der Paneuropabewegung Österreich ein Positionspapier zur Europawahl 2019. Einer der Punkte bezieht sich auf „Friede, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit“ als Grundsätze einer europäischen Außenpolitik, ebenso „wie der Einsatz für die Religionsfreiheit und gegen die Christenverfolgung in vielen Teilen der Welt“. Der Anschlag zu Ostern in Sri Lanka, mit mehr als 300 Toten, hat wieder einmal drastisch vor Augen geführt, wie sehr Christen auf der ganzen Welt unter Verfolgung und Terror leiden. Wobei dieser brutale Anschlag nur einer von vielen Anschläge auf Christen war, die in den vergangenen Wochen stattgefunden haben.
In der Politik der Europäischen Union spielt die Religionsfreiheit immer wieder eine Rolle, auch wenn sich manche politischen Kräfte schwer damit tun, den Kampf gegen die Christenverfolgung als Teil dieses Einsatzes für Religionsfreiheit zu sehen, weil sie Religionsfreiheit als Abwesenheit von Religion definieren. Kaum bekannt ist, dass die Europäische Union mit dem früheren slowakischen EU-Kommissar und früheren Präsidenten der Paneuropa-Union Slowakei Jan Figel sogar einen Sonderbeauftragten für dieses Thema hat. Über seine Arbeit ist wenig bekannt. In den offiziellen Mitteilungen der EU-Institutionen kommt er kaum vor.
Die Reaktionen auf den Brand der Kathedrale Notre Dame in Paris sind vielleicht eine Anleitung dazu, warum sich Europa heute so schwer tut, das Thema Christenverfolgung zu einem konkreten Thema der Außenpolitik zu machen. Praktisch alle Reaktionen auf den Brand am Montag der Karwoche nahmen Bezug auf das Kulturerbe des Gebäudes, die Touristenattraktion, die Architektur etc. etc. Aber kaum ein Politiker war in der Lage auszusprechen, was da wirklich gebrannt hat: nämlich eine Kirche, ein Gotteshaus. Notre Dame würde nicht als Symbol für die Kultur Frankreichs stehen können, wäre sie nicht als Gotteshaus gebaut worden. Damit wird nämlich klar, dass alles war zu dem Brand gesagt wurde, letztlich auf einem prägenden Element der europäischen Kultur beruht, nämlich dem Christentum. Kultur hängt unter anderem mit dem Kult zusammen, den man lebt. Wird diese Basis, dieser Grundpfeiler vergessen, ist die Identitätskrise eine unausweichliche Folge. Und vieles was wir heute als Krisen in Europa und in der EU sehen, müssen wir als eine Identitätskrise begreifen.
Diese christliche Kultur, die Europa zu dem gemacht hat, was es zum Teil noch immer in der Welt darstellt, hat unter anderem auch die Rechtsstaatlichkeit hervorgebracht. Wenn es um die Frage des Friedens geht, müssen wir als Europäer wohl zugeben, dass auch die christliche Kultur uns nicht davor bewahrt hat, Kriege zu führen. Aber wir haben es immerhin geschafft, nach dem Zweiten Weltkrieg mit der europäischen Einigung ein Projekt zu beginnen, das genau diesem Ziel gewidmet war: der Friedenssicherung.
Wir könnten als Europäische Union also außenpolitisch durchaus selbstbewusster auftreten. Und nicht nur selbstbewusster, sondern tatsächlich europäisch, also nicht nur als Einzelstaaten, von denen keiner mehr eine wirkliche Außenpolitik macht.
Bis zur Europawahl am 26. Mai werde ich in meiner Eigenschaft als Präsident der Paneuropabewegung Österreich einzelne Punkte aus dem Positionspapier der Paneuropabewegung kommentieren.
Der Artikel erschien ursprünglich auf der Seite von Karl von Habsburg.
c Beitragsbild: Europäische Union 2015