Madrid hat auf das gestrige Referendum in Katalonien mit brutaler Härte reagiert. Damit wurde letztlich die spanische Einheit stärker beschädigt als durch eine friedliche Abstimmung. Ein Kommentar von Philipp Jauernik.
Ein Blick zurück: Am 18. September 2014 findet in Schottland ein Referendum über dessen Unabhängigkeit statt. Das Endergebnis betrug 55,3 Prozent Nein-Stimmen und 44,7 Prozent Ja-Stimmen bei einer Beteiligung von 84,59 Prozent, wodurch die Unabhängigkeit Schottlands von der Mehrheit der Wähler abgelehnt wurde. Nur in vier der 32 Bezirke gewannen die Befürworter der Unabhängigkeit die Mehrheit.
Dem Referendum waren monatelange Debatten im Vereinigten Königreich vorangegangen: London hatte zunächst naturgemäß wenig Interesse daran, die verfassungsrechtliche Legitimität eines Plebiszits wurde infrage gestellt und dergleichen. Letztlich entschied sich der damalige Premier David Cameron aber klar für das von den Schotten gewünschte Referendum.
Mit Erfolg. Die Schotten votierten mit klarer Mehrheit für einen Verbleib, Schottlands First Minister Alex Salmond trat zurück und das Thema schien für lange Zeit vom Tisch zu sein. Natürlich: Als rund ein Jahr später das Brexit-Votum seinen bekannten Ausgang fand, wurden in Schottland erneut Stimmen für die Unabhängigkeit laut, hatte London doch zuvor in seiner Schottland-Kampagne mehrfach und deutlich darauf verwiesen, dass die den Schotten sehr wichtige EU-Mitgliedschaft ihres Landes nur gemeinsam mit dem United Kingdom möglich wäre. Aber für den Moment hatte Cameron am 18. September 2014 einen starken Erfolg zu verbuchen. Ein Umstand, der das Verhalten Madrids am gestrigen Sonntag sehr problematisch erscheinen lässt.
Madrid zeigt Härte statt Dialog
Vorweg: Ob eine katalanische Unabhängigkeit sinnvoll wäre oder nicht, ist Sache der Katalanen, das gilt ebenso wie vor zwei Jahren in Schottland. Es gibt Argumente dafür oder dagegen, die aber letztlich interne Angelegenheiten sind. Das Thema könnte man jedenfalls kontrovers und konstruktiv diskutieren. Könnte.
Genau das verweigert Madrid aber. Die Regierung Rajoy hat sich mit dem Standpunkt einzementiert, eine Unabhängigkeit der Autonomen Region Katalonien sowie ein darauf abzielendes Referendum sei in der spanischen Verfassung nicht vorgesehen. Das mag juristisch korrekt sein, ist aber eine völlig fehlgeleitete Argumentation. Es ist nämlich genau diese Verfassung, von der sich die Separatisten ja loslösen wollen.
Als sie nun das (formell eben illegitime) Referendum ansetzten, reagierte Madrid mit Härte. Wahllokale wurden besetzt, katalanische Offizielle verhaftet, die katalanische Polizei der Kontrolle Madrids unterstellt und dergleichen. Ein Dialog fand nicht statt. Und als am gestrigen Sonntag die Abstimmung stattfinden sollte, ließ Madrid eine Eskalation zu, die wohl einen neuen Tiefpunkt der kastilisch-katalanischen Beziehungen darstellt: Mehr als 800 (!) Verletzte sprechen eine traurige Sprache. Madrid verteidigte das harte Vorgehen seiner Exekutive noch dazu als „verhältnismäßig“. Fatal, brutal – und kurzsichtig.
Rajoy erreicht das Gegenteil dessen, was er will
Anders gesagt: Schwächer hätte Rajoys Regierung gar nicht reagieren können. Laut Medienberichten waren vor dem Referendum gut 60 Prozent der Katalanen gegen die Unabhängigkeit. Denkt man nun an Schottland 2014, so wäre die Lehre für Madrid klar gewesen: Ruhigen Gewissens abstimmen lassen, eine starke #bettertogether-Kampagne fahren und auf die vielen Nachteile einer Unabhängigkeit (Verlust der EU-Mitgliedschaft, kein Zugang mehr zum Binnenmarkt, Währungsreform, Ausschied aus Schengen, neuer Staat wäre von kaum jemandem anerkannt etc.) verweisen.
Macht man das klug, fährt man zwischen 60 und 70 Prozent Zustimmung zum Gesamtstaat ein und feiert die Einheit. Damit hätte man das Thema Separatismus für lange Zeit vom Tisch gehabt. Das Verhalten der Rajoy-Regierung hat aber heute allen, die immer schon für die Unabhängigkeit waren, jede Bestätigung geliefert, die man brauchte. Und damit mittelfristig die Einheit mehr geschwächt, als das jedes Referendum gekonnt hätte.
Philipp Jauernik ist Historiker und Bundesvorsitzender der Paneuropa Jugend Österreich.