Spanien und Ukraine haben die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkannt. Ihre Argumente aber sind völlig unlogisch. Von Rainhard Kloucek
Seit zehn Jahren ist der Kosovo ein unabhängiger Staat. Der Unabhängigkeitserklärung im Februar 2008 voran ging ein langer Prozess einer UNO-Verwaltung (als Folge des Säuberungskrieges, den Slobodan Milosevic gegen die Kosovo-Albaner führte), die letztlich im Ahtisaari-Plan mündete, in dem der UN-Sondergesandte Martti Ahtisaari den zukünftigen Weg des jüngsten Staates in Europa skizzierte. Mehr als 100 Staaten haben die Selbständigkeit des Kosovo anerkannt, darunter 23 der (noch) 28 Staaten der Europäischen Union. Nicht anerkannt haben von den EU-Ländern bisher Griechenland, Zypern, Slowakei, Rumänien und Spanien.
Viele absurde Gründe für die Nicht-Anerkennung
Unter den weiteren europäischen Ländern, die den Kosovo nicht anerkannt haben sind beispielsweise die Ukraine, Bosnien-Herzegowina (hier blockiert die sogenannte Republika Srpska) und klarerweise Serbien. Russland als enger Verbündeter Serbiens unterstützt die Position der Nicht-Anerkennung im Sicherheitsrat der UNO.
Die Gründe für die Nicht-Anerkennung sind vielfältig und meist absurd. Insbesondere die Haltung Spaniens und der Ukraine ist durch sehr eigenartige Züge gekennzeichnet, deren Absurdität in diesem Artikel thematisiert wird.
Kosovaren dürfen nicht nach Spanien reisen
Außer zu Spanien ist das Verhältnis des Kosovo zu allen Ländern der Europäischen Union, die nicht anerkannt haben, recht entspannt. Bürger des Kosovo können mit einem Schengen-Visum problemlos in diese Länder reisen, die Kontakte auf Regierungsebene sind normal, und es gibt auch keinerlei Blockade bei den EU-Ambitionen des Balkan-Staates.
Einzig und allein Spanien betreibt eine Politik, die klar gegen das Land gerichtet ist. So gelten beispielsweise die Schengen-Visa für Kosovaren in Spanien nicht. Bürger des Kosovo dürfen in Spanien nicht einreisen. Ein Umstand, der sich auch durch die zu erwartende Visaliberalisierung (der Kosovo hat alle Voraussetzungen erfüllt) nicht ändern wird. Insbesondere seit den verstärkten innenpolitischen Problemen mit den Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien setzt die spanische Regierung (ob sich durch die neue Regierung etwas ändern wird, kann noch nicht abgeschätzt werden) auf eine Blockadehaltung. Das war schon bei der Vorstellung der sogenannten Westbalkanstrategie (also einer Strategie zur Integration der Länder Südosteuropas in die EU) durch die EU-Kommission im Februar der Fall, oder auch beim Westbalkan-Gipfel im Juni in Sofia.
Wenn die Vergleiche so gar nicht passen
Spanien vergleicht die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo mit den Separationsbestrebungen in Katalonien, die Ukraine mit der Annexion der Krim durch Russland, die von Moskau durch ein von Russland organisiertes Referendum – Präsident Putin sprach in einer Pressekonferenz nach dem Treffen mit US-Präsident Trump in Helsinki von einem Referendum, das „wir“ organisiert haben, womit er erstmals die bisherige Darstellung eines Wunsches der Bevölkerung der Krim nach einem Anschluss an Russland ins Reich der Legenden verwiesen hat – legitimiert wird.
Um die Absurdität der Argumentation der beiden Länder aufzuzeigen, muss man nur die Geschichte der Kosovo-Unabhängigkeitserklärung mit der Lage in Katalonien und auf der Krim vergleichen.
Das Ende Jugoslawiens
Das frühere Jugoslawien – zu dem auch das autonome Gebiet Kosovo gehörte – bestand aus sechs Teilrepubliken und zwei autonomen Gebieten, wobei die autonomen Gebiete die gleichen Rechte wie die Teilrepubliken hatten. 1989 wurde durch das Milosevic-Regime die Autonomie aufgehoben. Es begann eine systematische Unterdrückung der Albaner im Kosovo, die 1999 zu einem Krieg mit Genozid-Charakter führte. Erst eine Intervention der Nato beendete 1999 die Vertreibung und den Krieg, der 12.000 Menschenleben in einem Jahr gekostet hatte.
UNO-Resolution und UNO-Administration
Durch eine UNO-Resolution im Jahr 1999 kam es zu einem Mandat für Friedenstruppen und eine UN-Administration. Ursprünglich sollte diese für drei Jahre eingerichtet werden, das Mandat wurde aber verlängert. Nach sechs Jahren begannen die Statusverhandlungen, die auf internationaler Ebene von Martti Ahtisaari geführt würden. Auch der österreichische Diplomat Albert Rohan war daran beteiligt.
Eine Kontaktgruppe aus mehreren Staaten erarbeitete die Leitlinien für die Zukunft des Kosovo. Sowohl Serbien als auch Russland verließen später diese Kontaktgruppe. Die Statusverhandlungen mündeten schließlich in der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17. Februar 2008.
Es war also die damalige politische Führung Serbiens, die – nach den anderen von Milosevic losgetretenen Kriegen gegen Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina – den Kosovaren erst ihre Autonomierechte genommen hat, sie dann in eine Art Apartheidsregime zwang und schließlich versuchte, die Bevölkerung zu vertreiben oder zu ermorden. Der Weg in die Unabhängigkeit des Kosovo wurde von der internationalen Staatengemeinschaft begleitet.
Spanien: Ein Vergleich der absurd ist
Diese Geschichte ist weder mit den Ereignissen in Spanien noch in der Ukraine vergleichbar. Spanien hat keinen Krieg gegen Katalonien geführt, es gab weder systematische Vertreibungen noch die Vernichtung ganzer Familien und Dorfgemeinschaften. Auch unter der Regierung Franco kam es zu keinen Ereignissen, die mit der Vorgehensweise von Slobodan Milosevic in irgendeiner Art vergleichbar waren, obwohl es getötete Separatisten gab und auch heute noch Separatisten eingesperrt werden. Die spanische Regierung hat die Autonomierechte in Katalonien nicht eingeschränkt oder gar aufgehoben. Wenn nun die spanische Regierung Katalonien mit dem Kosovo vergleicht, dann vergleicht sie damit automatisch die spanische Zentralregierung in Madrid mit der Regierung Milosevic in Belgrad. Ein Vergleich, den nicht einmal Gegner dieser Regierung ziehen würden. Für die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens gibt es weder eine Begleitung durch die UNO noch durch die EU.
Die Absurdität dieses Vergleiches der Lage in Spanien mit dem Kosovo wird durch den Vergleich der Annexion der Krim mit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo deutlich übertroffen. Die Krim gehört völkerrechtlich eindeutig zur Ukraine. Bei einem Referendum Anfang Dezember 1991 stimmten mehr als 90 Prozent der Ukrainer für die Unabhängigkeit (von der Sowjetunion), Ende Dezember desselben Jahres wurde die Sowjetunion aufgelöst.
Mehrheit der Krim gegen russische Kontrolle
Auch auf der Krim stimmten beim Unabhängigkeitsreferendum der Ukraine deutlich mehr als 50 Prozent (also eine klare absolute Mehrheit) für die Unabhängigkeit der Ukraine und damit gegen eine russische Kontrolle.
Schutzmacht im Budapester Memorandum
Im Budapester Memorandum aus dem Jahr 1994 anerkannte die Russische Föderation (neben weiteren Garantiemächten wie USA und Großbritannien) die volle Souveränität der Ukraine in den gegebenen Grenzen (also inklusive der Halbinsel Krim). Die Ukraine verpflichtete sich im Gegenzug zur Abgabe der Atomwaffen und auf einen weiteren Nuklearwaffenverzicht.
Infolge der Proteste des Euromaidan (in der Ukraine auch Revolution der Würde genannt) gegen die an Russland gebundene und äußerst korrupte Regierung von Viktor Janukowitsch, besetzten russische Soldaten (ohne Hoheitsabzeichen, die sogenannten Grünen Männchen) unter Verletzung aller bestehenden Verträge, die Krim.
Erst die Besetzung dann das Referendum
Auf der bereits russisch besetzten Krim organisierte Moskau ein Referendum, dessen Ergebnis in weiterer Folge zur Annexion der Halbinsel durch Russland führte. Die internationale Staatengemeinschaft verurteilte das Vorgehen Moskaus als eindeutig völkerrechtswidrig.
Vergleicht man nun aus ukrainischer Sicht diese Annexion der Krim durch Russland mit der Situation im Kosovo, so hätte das Milosevic-Regime nach der Besetzung des Kosovo durch die serbischen Truppen und die Vertreibung von Kosovaren (die Grünen Männchen vertrieben ja auch beispielsweise viele Krimtartaren) ein Referendum im Kosovo organisieren müssen, dessen Ergebnis die Bestätigung des Anschlusses des Kosovo an Serbien hätte sein müssen. Die Ukraine, das Opfer der russischen Aggression gegenüber der Krim, übernimmt also in ihrer Argumentation zum Kosovo die Position des Aggressors, und spielt damit indirekt der russischen Propaganda in die Hände.
Nicht-Anerkennung bringt keine Lösungen
Die Absurdität des Vergleichs Kosovo mit Katalonien und Krim zeigt sich in der Tatsache, dass die Nicht-Anerkennung weder die Annexion der Krim noch die Separatistenbewegung verhindert hat. Die Nicht-Anerkennung trägt also in keiner Weise zur Lösung des Problems bei, dessentwegen die Anerkennung der Unabhängigkeit verweigert wird. Im Gegenteil: Eine Anerkennung durch Spanien würde den Separatisten die Möglichkeit nehmen, ihre Situation mit der des Kosovo zu vergleichen. Eine Anerkennung durch die Ukraine würde den Vergleich Moskaus zwischen Krim-Annexion und Kosovo ins Leere laufen lassen.