Kosovo vor der Entscheidung: Wie hält man es mit dem Nachbarn?

Wird ein Erstarken der ehemaligen Anführer der Kosovarischen Befreiungsarmee UCK im politischen Leben des Kosovo das Land von Europa und seinen Nachbarn wegführen? Ein Kommentar von Stefan Haböck, Internationaler Referent der Paneuropa Bewegung Österreich.

Das jüngste Land Europas steht vor einer Entscheidung: Bringt ein härterer Kurs gegen Nachbar Serbien das Land weg von Europa, wie es manche Beobachter vermuten?

Bei den Parlamentswahlen am 11. Juni 2017 hat  eine Allianz aus PDK (hervorgegangen aus der UCK), NISMA und AAK mit rund 34 Prozent die Mehrheit errungen – ist aber auf Koalitionspartner angewiesen. Die oppositionelle Vetevendosje kam auf knapp 27 Prozent, die konservative LDK, bisher Regierungspartner, erlangte rund 26 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung war mit 42,5% eher gering.

Anführer der PDK ist Kedri Veseli, ehemaliger Chef des Geheimdienstes. Spitzenkandidat der AAK ist Ramush Haradinaj – ehemaliger Premierminister, vom UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen in EX-Jugoslawien angeklagt und 2008 sowie 2012 (als der Prozess zum Teil wiederholt wurde) freigesprochen. Die LDK, die Partei von Freiheitsheld und Symbol des friedlichen Widerstandes Ibrahim Rugova, fällt ab.

Hintergrund: 2008 unabhängig, zuvor unterdrückt

2008 hatte sich der Kosovo, als bisher letztes Land des ehemaligen Jugoslawiens, von Serbien unabhängig erklärt. Montenegro hat sich bereits 2006 – friedlich – aus dem Verbund mit Serbien gelöst. Im Grunde eine logische Folge der Repressionen des serbischen Regimes ab den 1980er Jahren gegenüber den ethnischen Albanern in Jugoslawien und der Aufhebung des Autonomiestatus 1987. Bis heute betrachten die Serben das Amselfeld (in der Nähe von Prishtina) als Nationaldenkmal: 1389 war hier ein Heer der Balkanvölker gegen die Osmanen unterlegen.

Das brutale Milosevic-Regime hat den Balkan in den 1990er Jahren in blutige Kriege geführt und mit verbündeten Milizen Massaker verübt. Srebrenica steht als Synonym für die Gräueltaten des Diktators. Den militärischen Unabhängigkeitskampf auf Seiten der Kosovoalbaner führte ab Mitte der 90er Jahre die UCK (Befreiungsarmee des Kosovo). Ab 1999 führte Hashim Thaci die UCK. Er ist heute Staatspräsident des Landes und kommt aus der PDK. Symbol des friedlichen Unabhängigkeitskampfes ist aber Ibrahim Rugova, erster Präsident des Kosovo. Er gründete die LDK, die seit Jahren stark an Zuspruch verliert.

Innere Spannungen – äußere Einflüsse

Der Kosovo, mit der jüngsten Bevölkerung Europas, steht seit Jahren vor großen Herausforderungen: die Arbeitslosigkeit ist hoch, politisch ist das Land zerrissen. Die serbische Minderheit im Norden des Kosovo fordert ihre Autonomie, die Umsetzung der vereinbarten Lösung in der Frage der Demarkationslinie mit Montenegro scheitert bisher am Parlament in Pristina. Die Korruption ist hoch. Eine internationale Schutztruppe (KFOR) sorgt für Ruhe im Land, geduldet von Serbien, da die KFOR den Kosovo offiziell nicht als unabhängigen Staat kommuniziert.

Der Einfluss ausländischer Mächte nimmt zu: Türkische Konzerne kauften Infrastruktur wie den Flughafen und investieren. Saudi-Arabien finanziert Moscheen. Beides führt zur Bedrohung durch radikale islamische Kräfte. Die USA sind durch ihren, unter anderem, militärischen Einfluss ein starker Faktor in dem Land, das einmal der EU beitreten möchte. Russland hat über Serbien und der Republik Srpska in Bosnien einen politischen Hebel am Balkan. Diese Melange aus antieuropäischen machtpolitischen Interessen stellen sowohl das Land als auch Brüssel vor Herausforderungen.

Der ständige Konflikt mit Serbien, angeheizt durch Provokationen nationalistischer Politiker, schwebt über allem. Kürzlicher Höhepunkt des Konfliktes war ein Zug, geschmückt mit serbisch-nationalistischen Parolen. Begleitet mit der Drohung, notfalls die Armee in den Kosovo zu schicken. Die Crux dabei: Serbien ist Beitrittskandidat zur Europäischen Union. In die EU geführt wird das Land wohl von Präsident Vucic – ehemaliger Informationsminister unter Slobodan Milosevic. Vucic hat das Land auf Pro-EU-Kurs ausgerichtet und ist vertrauensvoller Ansprechpartner für Brüssel.

Europa-Hoffnung als Fixstern im Kosovo

Der Ausgang der Wahl im Kosovo und die Stärkung der Kräfte rund um die drei ehemaligen UCK-Anführer sowie der Nationalisten der VV (Vetevendosje ) lassen Sorge aufkommen, ob sich das Land vom pro-europäischen Kurs verabschieden wird. Aber: Im Gegensetz zu vielen anderen Wahlen in europäischen Ländern, steht „die EU“ gar nicht zur Abstimmung. Denn: alle politischen Kräfte im Land gelten als pro-europäisch. Alle Parteien und Bewegungen haben sich die Annäherung an die EU auf die Fahnen geheftet. Eine anti-europäische Partei gibt es im Kosovo nicht.

Was zur Abstimmung steht ist das – sehr kühle und angespannte – Verhältnis zu Serbien: die meisten Politiker des Kosovo haben angekündigt, einen härteren Kurs gegen Serbien fahren zu wollen. Wie die serbische Minderheit auf diese Aussagen reagieren wird, ist noch unklar. Serbiens Präsident Vucic hat vor kurzem verlautbart, über die Beziehung Serbiens zum Kosovo rational diskutieren zu wollen. Inwieweit er seinerseits die serbischen Nationalisten einbremsen kann – und will? – ist fraglich.

Denkmal für Ibrahim Rugova, erster Präsident des freien Kosovo. Rugova wurde unter anderem mit dem "Europapreis Coudenhove-Kalergi" ausgezeichnet. (c) Diego Delso, delso.photo, License CC-BY-SA

Denkmal für Ibrahim Rugova, erster Präsident des freien Kosovo. Rugova wurde unter anderem mit dem „Europapreis Coudenhove-Kalergi“ ausgezeichnet. (c) Diego Delso, delso.photo, License CC-BY-SA

Die EU wird – und darf – den Kosovo nicht fallen lassen. Das Land ist stark eingebunden in die Westbalkan-Strategie. Zusammen mit Serbien, Mazedonien, Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina wird an einem gemeinsamen Markt und einer gemeinsamen Sicherheitsstruktur gearbeitet. Klar ist aber, dass Serbien als Beitrittskandidat einen guten Status besitzt.

Conclusio: Es muss friedlich gehen

Bei allem nachvollziehbarem Misstrauen und der konfliktbeladenen Geschichte zwischen Serbien und Kosovo: Freund-Feind-Denken und ständige gegenseitige Provokation von Nationalisten und Radikalen dürfen in Europa keinen Platz finden.

Kosovo und Serbien müssen, und das ist eine unabänderbare Notwendigkeit, eine professionelle Form der Zusammenarbeit finden. Ob dies Politiker schaffen, die vor zwei Jahrzehnten noch gegeneinander im Feld standen, ist fraglich. Auch wenn der Krieg noch nicht lange vorbei ist, das Land muss nach vorne schauen.

Im Bewusstsein der Geschichte kann der Weg nur lauten: ein in Frieden, Sicherheit und Wohlstand vereintes, rechtsstaatliches, demokratisches Europa. Sowohl Vucic als auch die kosovarische Führung rund um Präsident Thaci und dem wohl nächsten Premierminister Haradinaj wollen dies auch für ihre Staaten. Zusammen mit dem Nachbarn?

Europa trägt Verantwortung

Ein Druckmittel hat Europa auf die zukünftige kosovarische Regierung, egal wie diese zusammengesetzt sein wird: Die Visafreiheit. Nachdem Georgien und seit 11. Juni 2017 auch die Ukraine in den Genuss der Visafreiheit in die Europäische Union gekommen sind, ist der Kosovo das einzige Land, für das noch Visaverpflichtung in die EU bestehen. Ein harter Schlag für die Kosovaren. Eines darf man nicht vergessen: Während die Kosovaren für eine Reise in die EU ein Visum benötigen, ist es ihnen möglich, visafrei in die Türkei einzureisen. Angesichts der politischen Entwicklungen dort, muss die EU alles dran setzen, die Bevölkerung im Kosovo nicht zu verlieren.

Und: Mit jugoslawischem Pass war es allen möglich, problemlos durch Europa zu reisen – dass dies nun mit kosovarischem Pass nicht möglich sein soll, stößt bei vielen Kosovaren auf Unverständnis. Ein Abwenden von Europa durch gerade die junge Generation könnte sich als fatal erweisen. Für den Kosovo, den Balkan und: Europa.