Jawohl, jetzt läßt das Europäische Parlament endlich einmal die Muskeln spielen und zeigt es den Amis. Wahrscheinlich haben einige der Europaparlamentarier so gedacht, als sie am 2. März in einer Entschließung (nicht legislativ) die Einführung von Visa für US-Bürger bei der Einreise in die EU forderten. Die Kommission soll nun innerhalb von zwei Monaten entsprechende gesetzlichen Maßnahmen vorbereiten.
Hintergrund der Entscheidung ist das US-Einreiseregime, nach dem EU-Bürger aus Bulgarien, Zypern, Polen und Rumänien ein Visum für die Einreise in die USA brauchen. Reziprozität ist das schöne Schlagwort, das den MEP hier als Leitlinie für ihre Entscheidung diente. Intelligent ist das allerdings nicht. Es erinnert eher an kleine Kinder im Sandkasten, die darüber streiten, wer jetzt den Bagger kaputt gemacht hat, als an Politiker, die mit dem Anspruch antreten, Weltpolitik zu machen. Es ist etwa das Niveau, das man dem neuen US-Präsidenten Donald Trump vorwirft, als die Weitsicht jener, die einst das Projekt Europäische Einigung begonnen haben.
Die USA haben keinen Grund darauf zu reagieren und ihre Einreisebestimmungen zu lockern. Sicherheitsgewinn bringen Visa für US-Bürger auch nicht. Einzig und allein die Bürokratie wird damit erhöht. Die Kosten für die europäischen Steuerzahler und die US-Europareisenden werden steigen.
Völlig daneben ist die Argumentation mit der Reziprozität. Sowohl im speziellen Fall der Visa-Bestimmungen als auch generell. Bürger der EU können schon lange ohne Visum in die Ukraine oder den Kosovo einreisen (auch wenn die beiden Länder noch keine diplomatischen Beziehungen zueinander haben), trotzdem verlangt die EU von den Bürgern dieser beiden europäischen Staaten ein Visum für die Einreise in die EU (Schengen-Raum). Reziprozität zu Ende gedacht würde bedeuten, daß die Behandlung von Ausländern jeweils davon abhängt, wie deren jeweiliges Heimatland Ausländer behandelt. Also müßten wir beispielsweise allen Saudis, die in die EU kommen, die Ausübung ihrer Religion verbieten, weil Saudi-Arabien die Ausübung des christlichen Glaubens verbietet. Mit den Syrern hätten wir kein Problem, und schon bei der Türkei wird es schwierig. Das System der Reziprozität ist allein schon wegen seiner zahlreichen Einzelfälle nicht administrierbar. Deshalb hat man in Europa auch den Rechtsstaat entwickelt.
Aber solche Entscheidungen kommen eben heraus, wenn nicht kalkulierende politische Vernunft die Grundlage für Entscheidungen ist, sondern das Gesetz der Bürokratie. Wie hat es Richard Coudenhove-Kalergi, der Gründer der Paneuropa-Union, bei seiner Dankesrede für den ersten Karlspreis der Stadt Aachen im Jahr 1950 so schön ausgedrückt: „Die Gebeine der Diplomaten, die einst aus diesen oder jenen längst kraftlos gewordenen Gründen, diese Mauern zwischen die Völker gesetzt haben, sind längst vermodert, aber noch erben sich ihre Werke wie eine ewige Krankheit von Generation zu Generation fort! Sollen wir nicht ein Ende machen mit diesem senilen politischen System? Sollen wir nicht die Zöllner und Paßschreiber einer werteschaffenden Betätigung zuführen?“