Die Staaten haben entschieden: Die Spitzenposten im Europa der 28 Staaten gehen an Westeuropa. Die vorgeschlagenen Personen sind allesamt Profis und erfahren. Übrig bleibt: Wenn Frankreich nicht will, steht alles still. Ein verheerendes Signal, auch für die Länder Südosteuropas. Ein Kommentar von Stefan Haböck, Internationaler Referent der Paneuropabewegung Österreich.
Nach tagelanger Verhandlung haben sich die Staats- und Regierungschef im Europäischen Rat auf die Namen geeinigt, die sie für die Spitzenposten in der Europäischen Union dem vorschlagen. Charles Michel, der nach dem Zusammenbruch der Regierungskonstellation in Belgien einer Übergangsregierung vorsteht, soll Präsident des Rates werden und damit Donald Tusk ablösen. Josep Borell, der 72-jährige spanische Sozialist möchte Federica Mogherini im Amt des Hohen Außenbeauftragten der EU beerben. Mit Christine Lagarde, der zur EVP gehörigen Französin, wurde die Direktorin des IWF für die Spitze der Europäischen Zentralbank nominiert. Präsidentin der Kommission, die erste Frau in diesem Amt, soll laut Vorschlag des Rates die deutsche CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen werden.
Nationale Regierungsbildungen dauern oft bedeutend länger
Eines vornweg: Am 26. Mai fanden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt, knapp fünf Wochen später einigt sich der Rat – nach langem Tauziehen – auf die Personalie. Fünf Wochen sind keine lange Zeit angesichts der Tatsache, dass hier Staats- und Regierungschefs aus 28 Staaten und vier Parteienfamilien miteinander verhandeln. Wie sich die jeweiligen Personen im Amt machen, wird man anhand der Praxis beurteilten müssen. So fair sollte man sein.
Auffallend sind am Personalpaket zwei Dinge
Erstens kommen die beiden Frauen aus der EVP Parteienfamilie. Die Europäischen Sozialdemokraten, sonst Befürworter von Frauenquoten für private Unternehmen, nominieren nur Männer. Zweitens, die vier Damen und Herren stammen alle aus Westeuropa. Mit Deutschland, Frankreich und Belgien kommen drei Gründerstaaten der EGKS zum Zug. Spanien trat 1986 der Union bei. Selbst in der vorigen Periode war mit dem Polen Donald Tusk ein – sehr anerkannter – Nicht-Westeuropäer vertreten.
Ost- und Südosteuropa spielt hier keine Rolle. Auch wenn der Slowake Sefcovic und der Bulgare Stanishev als Kommissionsvizepräsident beziehungsweise Parlamentspräsident ab der zweiten Hälfte der Legislatur genannt werden.
Hier tun sich Fragen auf, die wohl erst im Laufe der Periode zu beantworten sind:
- War es verhandlungstaktisches Ungeschick der Ost- und südosteuropäischen Länder? Zum Beispiel, dass man sich auf keinen „Visegrad“-Kandidaten geeinigt hat?
- Ist es „westliche“ Arroganz, mit der sich große westeuropäische Staaten die Posten untereinander ausmachen?
- Ist es vielleicht auch durchaus passend und nicht ungewollt, dass zukünftig jegliche Kritik an den Ländern Ost- Südosteuropas von „westeuropäischen“ Politikern kommt?
Punkt drei wird sich erst überprüfen lassen, wenn es seitens der Kommission erste Androhungen zu Verfahren gibt. Auch hier wird man sehen, ob nur Polen und Ungarn im Fokus stehen, oder ob man auch unabhängig von der jeweils regierenden Partei rechtsstaatliche Prinzipien bei anderen Staaten einfordert. Stichwort Rumänien.
Andererseits könnte man schon einwerfen, dass es a la longue auch für ihre Staaten sicherlich besser wäre, würde man nicht ständig mit der Rolle der „Wir gegen Brüssel“-Kämpfer kokettieren.
Punkt zwei klingt hart, man kann aber nach der Performance von Staatspräsident Macron (im Team mit dem spanischen Ministerpräsidenten Sanchez) eine gewisse Überheblichkeit großer westeuropäischer EU-Staaten nicht ganz von der Hand weisen. Macron, schon bekannt als großer Blockierer, hat nicht von Anfang an jede Lösung mit Manfred Weber, immerhin Spitzenkandidat der größten Partei, vom Tisch gefegt. Sondern mit ihr auch Margrethe Vestager um die Chance gebracht. Vestager war keine Spitzenkandidatin im klassischen Sinne, da die ALDE unter dem Druck des französischen Staatschefs auf dieses Prinzip quasi verzichtete. Sie war aber die Frontfrau.
Le Jupiter hat gesprochen
Doch Macron wäre nicht französischer Staatspräsident und dementsprechend selbstbewusst, würde er seinen Willen für einen Kompromiss zurücknehmen. Nicht nur, dass er im Rat den beiden größten Fraktionen das Spitzenkandidatenmodell ausschaltete, er verknüpft das auch noch mit einer Blockade der Westbalkanstaaten.
Klingt wenig logisch, diese beiden Dinge – EZB-Chefin und Westbalkan (Südosteuropa) – miteinander zu verbinden? Nur auf den ersten Blick. Denn Macron fordert seit Amtsantritt eine umfassende und tiefergehende Reform der EU. Das beinhalt neben – etatistischen und milliardenschweren – neuen Gremien, extra geschaffenen Institutionen und neuen Steuern – auch ein europaweites Prozedere für die EU-Wahl und daran geknüpft für die Spitzenposten in der EU.
Der Westbalkanprozess stockt – Frankreich und Niederlande wollen es so
Das Problem – vor allem für den Westbalkan – ist nun aber, dass die Mehrheit der EU-Staaten seine Pläne (Eurozonenbudget, usw.) ablehnen, der Präsident seine Zustimmung zu einer EU-Erweiterung aber direkt an die Umsetzung – seiner – Reformideen knüpft. Kurzum: Kein Eurozonenbudget mit eigener Institution – keine Beitrittsgespräche mit Mazedonien. Was sich einst als europäischer Staatsmann ankündigte, entpuppte sich schnell als rasch eingeschnappter, protektionistischer Blockierer einer der wichtigsten geopolitischen Entscheidungen für die europäische Zukunft.
Zurück zum Personalpaket: Man wird die einzelnen Personen im Amt an ihren Taten messen müssen. In einer Zeit radikalerer politischer Rhetorik ist es wichtig, dass die vernünftigen Kräfte auch Fairness walten lassen. Bei manchen Entscheidungen muss man aber schon auch zugeben, dass das Gerede von einer West-Ost-Spaltung, nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
c Beitragsbild: Europäische Union