Die Wahlen in der Ukraine sind sauber gelaufen. Trotz der Herausforderungen, die drei Wahlgänge innerhalb von vier Monaten. Nun geht es darum, die europäische Perspektive der Ukraine zu verstärken. Von Walburga Habsburg Douglas.
Am 21. Juli wurden in der Ukraine vorzeitige Parlamentswahlen abgehalten, die der neugewählte Präsident Viktor Zelensky bereits am Tag nach seiner Wahl angekündigt hatte. Nach seinem überzeugenden Sieg über Petro Poroschenko brauchte er auch eine Mehrheit im Parlament, um seine Reformen und Politik durchsetzen zu können. Für die oberste ukrainische Wahlbehörde und für die ukrainischen Wähler war das Ganze nicht so einfach: drei Wahlen innerhalb von vier Monaten, da ja die Präsidentenwahl zwei Durchgänge hatte.
Deshalb gingen die Vorbereitungen mit Anmeldung der Kandidaten, Wahlkampf, sowie mit der Umsetzung aller neuen Wahlgesetze, nicht so einfach. Man muss die ukrainische Bürokratie bewundern. Viele Mitarbeiter der Wahlbehörden hatten Sommerferien. In einigen Wahllokalen wurden die Wahlhelfer bis zum letzten Tag ausgetauscht, was vielfach die Wahlausbildung zunichte machte.
Man muss sich vorstellen, die Hälfte der 450 Abgeordneten im ukrainischen Parlament der Verkhovna Rada werden auf Parteilisten gewählt, und es gab 22 Parteien die kandidierten. Die andere Hälfte wird von Mehrheitskandidaten in 225 Wahlkreisen gewählt. Und nicht genug damit: in einem Drittel des Landes (auf der Krim, in Donetsk und Luhansk, die Region die wir als Donbass kennen) gibt es eine Reihe von Wahlbezirken, in denen wegen der russischen Kriegshandlungen eine demokratische Wahl gar nicht möglich war. In der Ukraine mussten die Russen gar keine Trolle anstellen oder Fake News publizieren. Kriegshandlungen und Okkupation reichten.
Direktkandidaten können sich noch für Fraktionen entscheiden
Nach der Wahl, die von den ausländischen Beobachtern als gut und demokratisch, wenn auch häufig sehr umständlich, angesehen wurde, wurden zuerst einmal nur die Stimmen gezählt, die für die Parteilisten abgegeben wurden. Danach sah es aus, als hätte die neue Partei von Präsident Zelensky „Diener des Volkes“ eine Mehrheit. Der Name der Partei wurde vom Namen des Satirefilms im ukrainischen Fernsehen, in welchem Zelensky den unfreiwilligen Präsidenten spielt, genommen. Auf den Plakaten steht nur „Ja“. Die Stimmen der Majoritätskandidaten werden erst bis 15. August ausgezählt. Man weiß also bis dann nicht genau wie die Mehrheitsverhältnisse sein werden, da ja jeder unabhängige Kandidat für sich selbst entscheiden kann, in welche Fraktion er sich setzt.
Man kann sagen, dass in gewisser Weise Zelensky gelungen ist was Emmanuel Macron ihm vormachte. Ein Präsidentenkandidat gewinnt die Wahl und braucht dann eine Mehrheit im Parlament, um seine Politik umsetzen zu können. Er gründet eine neue Partei und gewinnt mit dieser die Wahl.
Bei der Umsetzung wird er allerdings Probleme bekommen. Er hat versprochen, die Korruption zu bekämpfen, den Krieg im Donbas zu beenden und die Krim zurückzuholen. Die Ukrainer sind aber nicht bereit in irgendeiner Frage nachzugeben. Das wichtigste wird seine Exitstrategie sein, und damit wird er ein Problem bekommen.
Dann gibt es noch ein wahltechnisches Problem: die Venedig-Kommission des Europarates hat nach der letzten Parlamentswahl im Herbst 2012 Vorschläge zur Verbesserung der Wahlgesetzgebung – besonders was Wählerlisten, die Beteiligung von Frauen am politischen Leben, Wahlkampf, Verminderung der Bürokratie und schnellere Stimmenauszählung betrifft – gemacht. Einiges davon wurde umgesetzt, anderes liegt auf der langen Bank. Dem Europarat ist es gelungen, durch das
Wiederaufnehmen des Stimmrechtes der Russen, das ja nach der Invasion und Annexion der Krim eingestellt war, die Ukrainer so zu ärgern, dass sie den Europarat nicht zur Wahlbeobachtung baten und damit auch die Zusammenarbeit mit der Venedig-Kommission zu Ende war.
Ich war mit dem IRI (International Republican Institute) in Kyiv und beobachtete in der Hauptstadt-Region, zu der auch Tschernobyl und Slavutych gehören. Deshalb war ich am Tag vor der Wahl dort und konnte feststellen, dass alle Vorbereitungen ausgezeichnet waren.
Ich traf Viktor Juschchenko und Vertreter von Julia Tymoshenkos Partei „Vaterland“. Am Tag nach der Wahl gab es Pressekonferenzen von der OSZE mit ODIHR und dem Europäischen Parlament, danach von NDI (National Democratic Institute) sowie vom IRI. Alle waren der Meinung, dass die Wahl gutgegangen ist und den Willen der Bevölkerung ausgedrückt hat, was ja das Wichtigste ist. Aber die großen Probleme für den Präsidenten fangen wohl jetzt an, wenn er seine Wahlversprechen umsetzen will. Dann muss er sich mit den Russen an einen Tisch setzen. Wie schon mein Vater Otto von Habsburg sagte: „Wer mit den Russen verhandelt braucht einen langen Löffel“. Wünschen wir dem Satiriker Zelensky einen sehr langen Löffel, ein gutes Nervenkostüm und tüchtige Berater. Danach werden EU und NATO gefragt sein, sich ernstlich mit einer Mitgliedschaft der Ukraine auseinanderzusetzen. Das wäre die richtige Antwort auf die erfolgreiche Wahl.
Walburga Habsburg Douglas war Generalsekretärin und geschäftsführende Vizepräsidentin der Paneuropa-Union, zwei Wahlperioden gehörte sie dem Schwedischen Reichstag an (in der Zeit was sie auch Fraktionschefin der EVP in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE). Sie lebt in Schweden, wo sie auch Präsidentin der Paneuropa-Union Schweden ist.
Das Beitragsbild zeigt das ukrainische Parlament.