Von den Anfängen,…
„Das kontinentale Europa von Portugal bis Polen wird sich entweder zu einem Überstaate zusammenschließen oder noch im Laufe dieses Jahrhunderts politisch, wirtschaftlich und kulturell zugrunde gehen.“
Diese Worte schrieb Richard Graf Coudenhove-Kalergi 1922 in einem Artikel in der „Neuen Freien Presse“. Er wollte damit die Staatsmänner Europas aufrütteln, das Echo blieb jedoch vorerst aus. Der junge Coudenhove-Kalergie (Jahrgang 1894) zog sich daraufhin zurück, um seine Idee in einem Buch zu formulieren. 1923 erschien dann „Pan-Europa“: Es zeigt die Gefahren, analysiert die Lage, beschreibt Alternativen und faßt in präzise formulierten Thesen alle wichtigen Argumente für die europäische Einigung zusammen. Gleichzeitig rief Coudenhove zum Beitritt zur Paneuropa-Union als der Sammelbewegung aller Europäer auf.
Der bis dahin unbekannte Privatmann gewann die Unterstützung führender Politiker: Bundeskanzler Prälat Ignaz Seipel und Karl Renner in Österreich, Reichstagspräsident Paul Loebe und Gustav Stresemann in Deutschland, die Ministerpräsidenten Edouard Herriot und Leon Blum in Frankreich, Minister Leo Amery und Duff Cooper in England, etc. Der wohl wichtigste Förderer in den Anfangsjahren war der österreichische Bundeskanzler Ignaz Seipel. Er übernahm den Vorsitz des österreichischen Komitees und stellte dem Zentralbüro der Bewegung in der Wiener Hofburg Räume zur Verfügung. 1926 fand dann der erste Paneuropa-Kongreß in Wien statt: Mehr als 2000 Teilnehmer aus 24 Nationen ließen Paneuropa zu einem Synonym für die friedliche Einigung und Entwicklung des Kontinents werden.
Höhepunkt und vermeintliches Ende
In Folge übernahm der französische Außenminister Aristide Briand das Ehrenpräsidium. Ihn forderte Coudenhove wiederholt und immer dringender auf, Paneuropa endlich auf die Tagesordnung der staatlichen Politik zu setzen. 1929 war es endlich soweit: Briand schlug in einer Rede vor dem Völkerbund die Schaffung von „einer Art föderativem Band“ zwischen den europäischen Nationen vor. Es war dies der glanzvolle Höhepunkt der proeuropäischen Kampagne der Zwischenkriegszeit und gleichzeitig ihr Schlußpunkt: England lehnte den Plan gänzlich ab, in Deutschland starb Gustav Stresemann, und auch die französische Politik verfolgte die Initiative aufgrund der allgemeinen Entwicklung nur mit halbem Herzen. 1930 wurde das Briand-Memorandum am Vorabend des zweiten Paneuropa-Kongresses, der zu seiner Unterstützung nach Berlin einberufen wurde, veröffentlicht. Doch das Memorandum kam zu spät: Seit dem Börsenkrach hatte die Politik der vorsichtigen Öffnung auf allen Seiten ein Ende gefunden.
Gegen roten und braunen Totalitarismus
Coudenhove selbst kämpfte – ungeachtet der steigenden Widerstände und dahinschwindender Unterstützung – weiter. Doch der Charakter seiner neuen Kampagne hatte sich grundlegend geändert: Nicht mehr Offensive für die Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen, sondern Defensive gegen die wachsende rote und braune Flut. „Stalin bereitet den Bürgerkrieg vor – Hitler den Völkerkrieg“, warnte Richard Graf Coudenhove-Kalergi auf dem dritten Paneuropa-Kongreß 1932 in Basel. Hitler sah in Coudenhove und der Paneuropa-Idee einen gefährlichen Gegner. Sofort nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die Paneuropa-Literatur verboten, die deutsche Paneuropa-Union aufgelöst. Die Unterstützung durch die deutsche Industrie fiel aus. Zugleich verlor Coudenhove die Unterstützung linksintellektueller Mitstreiter, die ihre Hoffnungen im Kampf gegen Hitler auf die Sowjetunion richteten, während der Paneuropa-Präsident seine Ablehnung des Kommunismus nicht widerrief sondern noch verschärfte.
Die Tätigkeit der Paneuropabewegung konzentrierte sich nun im wesentlichen auf Frankreich, die Tschechoslowakei und Österreich. Die Selbständigkeit Österreichs im Rahmen einer mit Italien und Frankreich verbündeten Donauföderation zu erhalten, war das Ziel aller größeren Aktivitäten zwischen 1933 und 1938. Mit dem Einmarsch Hitlers in Wien kam im März 1938 das Ende. Coudenhove ging erst in die Schweiz, dann in die USA ins Exil. Dort bemühte er sich gemeinsam mit Otto von Habsburg um eine parteiübergreifende österreichische Exilregierung. Ein Versuch, der an der Ablehnung der überwiegend zu Groß-Deutschland tendierenden Sozialisten scheiterte.
Im Exil
Durch seine antisowjetische Haltung und Parteinahme für Österreich zog er sich die Gegnerschaft des Benes-Exils und aller „fellow traveller“ der Kommunisten zu. Den Einfluß dieses Lagers bekam er durch Intrigen und sonstiges Störfeuer bei der Vorbereitung des fünften Paneuropa-Kongresses 1943 in New York zu spüren. 1946 aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrt, stellte Coudenhove-Kalergie fest, daß nach zwei schrecklichen Weltkriegen endlich die Bereitschaft für einen europäischen Neubeginn erwacht war. Der britische Premierminister Winston Churchill beriet mit ihm seine aufsehenerregende Zürcher Rede und bat ihn, sich mit seinem Schwiegersohn Duncan Sandys in Verbindung zu setzen. Dieser verschleppte jedoch den geplanten gemeinsamen Kongreß so lange, bis er stark genug war, um die Führung der Europäischen Bewegung an sich zu ziehen.
Die Union der Parlamentarier
Da die Alliierten es versäumt hatten, ein Parlament als Grundstein der neuen Ordnung im westlichen freien Europa einzuberufen, holte Coudenhove dies in privater Initiative nach: So entstand die Europäische Parlamentarier-Union. Auf ihrem Kongreß in Gstaad 1947 forderte die die Europäische Parlamentarier-Union die Einberufung einer Europäischen Parlamentarischen Versammlung, eine Forderung, die von der Europäischen Bewegung auf dem Haager Kongreß 1948 übernommen wurde.
Die Kampagne der Europäischen Parlamentarier Union war erfolgreich: Sie erreichte, daß der 1949 gegründete Europarat nicht nur aus einem Ministerrat bestand, sondern ihm als zweites Organ eine Beratende Parlamentarische Versammlung zu Seite gestellt wurde. Damit hatte die Geschichte des europäischen Parlamentarismus begonnen. Doch ihr weitergehendes Ziel der Verabschiedung einer föderativen Verfassung (dargelegt im sogenannten Interlaken-Plan 1948) scheiterte am Einspruch Großbritanniens und der mangelnden Entschlossenheit der kontinentalen Parlamente. Coudenhove zog daraus die Konsequenz und plädierte für ein Beginnen ohne Großbritannien, ein Europa der Sechs, das er Karlsbund nannte. Im Jahr 1950 sprach die Stadt Aachen dem Vater der Paneuropa-Idee ihren ersten Internationalen Karlspreis zu.
Paneuropa mehr als EWG
Coudenhove-Kalergie widmete sich nun der Neubelebung der Paneuropa-Union als Avantgarde der europäischen Patrioten. Nach einem ersten Anlauf 1952 in Lausanne wurde die Neugründung mit dem sechsten Paneuropa-Kongreß in Baden-Baden 1954 vollendet. Die Paneuropa-Union vereinte diejenigen Europäer, die die Entwicklung der europäischen Integration in den fünfziger Jahren bejahten, aber kritisch begleiteten. Die Einseitigkeit des nur wirtschaftlichen Zusammenschlusses und die Ideologie des technokratischen Funktionalismus lehnten die Paneuropäer ab. So sehr sie die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) begrüßten, mahnten sie doch deren baldige Ergänzung durch außen- und sicherheitspolitische Aspekte ein.
Beim achten Paneuropa-Kongreß in Bad Ragaz in der Schweiz wurde Otto von Habsburg in den Zentralrat der Paneuropa-Union gewählt. Bald darauf wurde er einer der Vizepräsidenten und von Coudenhove-Kalergi als späterer Nachfolger im Amt des Präsidenten vorgeschlagen. Mitte der sechziger Jahre zog sich Coudenhove immer mehr aus dem politischen Tagesgeschäft zurück. 1965 verlegte er das Generalsekretariat nach Brüssel, wo sich Vittorio Pons, damals Berater der EG-Kommission, um die Geschäfte kümmerte, während Otto von Habsburg mit seinen Vorträgen die Säle füllte. Nach dem Tod Richard Graf Coudenhove-Kalergis am 27. Juli 1972 übernahm Otto von Habsburg die Führung der Internationalen Paneuropa-Union.
Mitgliederbewegung mit christlich konservativem Profi
Seit der Mitte der siebziger Jahre ging man verstärkt den Weg einer Mitgliederbewegung mit christlich-konservativem Profil. Von den etablierten Parteien der Linken und der Mitte angefeindet oder nur belächelt, wurde der im Satz „Paneuropa ist ganz Europa“ formulierte Grundsatz immer mehr zum erklärten Ziel der Bewegung. Hatte man sich in den Staatskanzleien des Westens mit dem Eisernen Vorhang bereits abgefunden, hörte die Paneuropabewegung nicht auf, sich für die Freiheit Mittel- und Osteuropas einzusetzen. So wie die Bewegung unter Coudenhove in der Zwischenkriegszeit sich gegen den braunen Totalitarismus stellte, wiedersetzte man sich unter Habsburg dem roten Totalitarismus der Sowjetunion und ihrer Verbündeten. Die Unterstützung von Untergrundbewegungen in den Ostblockstaaten gehörte genauso zu dieser Politik wie beispielsweise die Initiative zur Aufstellung eines leeren Sessels für die Völker Mittel- und Osteuropas – als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu Europa – im Europaparlament in Straßburg. Es war dann auch das Paneuropa-Picknick an der österreichisch-ungarischen Grenze am 19. August 1989, das den Eisernen Vorhang durchbrach. Erich Honecker „beschuldigte“ in einem seiner letzten Auftritt als DDR-Chef Otto von Habsburg und seine Paneuropabewegung am Zusammenbruch des Sozialismus schuld zu sein.
Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa
Nach der friedlichen Revolution von 1989/1990 begann die Herausführung bestehender Untergrundgruppen in den nun freien Länder Mittel- und Osteuropas in die Legalität, bzw. der Aufbau neuer Paneuropa-Gruppen. Heute gibt es Länder-Organisationen der Internationalen Paneuropa-Union in faktisch allen Staaten Europas. Die Einbeziehung der Staaten Mittel- und Osteuropas (die sogenannte Osterweiterung) in die Europäische Union stellt einen der Arbeitsschwerpunkte dar.