Propaganda gegen Europa

Rechtsstaatlichkeit und freie Marktwirtschaft sind die Garanten für den Erfolg Europas. Doch sie sind durch Propaganda stark gefährdet, schreibt Stefan Haböck, internationaler Referent der Paneuropabewegung Österreich.

Demokratie im Zusammenspiel mit dem liberalen Rechtsstaat und der Marktwirtschaft ist ein Erfolgsmodell. Nie in der Geschichte waren die Menschen wohlhabender und freier. Das verdanken wir unter anderem Innovationskraft, freiem Unternehmertum und Zugang zu Bildung. Die in dieser Hinsicht erfolgreichsten – sprich: freiesten und weitest entwickelten – Länder haben so gut wie alle ein Fundament, auf dem ihr Erfolg fußt: rechtsstaatliche, marktwirtschaftlich orientierte Demokratien mit weitreichenden Bürger- und Freiheitsrechten und Ächtung von Korruption.

Wer einen Rechtsstaat hinter sich weiß, investiert. Wer frei denken kann, forscht. Wer individuell Entscheidungen treffen darf, übernimmt Verantwortung. Das alles war nur möglich, weil das unterdrückende Joch der kollektivistischen und verbrecherischen Systeme des 20. Jahrhunderts 1945 und 1991 überwunden werden konnte. Nach den brutalen Vernichtungsregimes hat Europa eine Art des Zusammenlebens gefunden, die auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Schutz der Freiheitsrechte, unabhängiger Gerichtsbarkeit, Anti-Korruption, Marktwirtschaft, Solidarität von Individuen, Subsidiarität und Kooperation basiert.

Das europäische Modell ist in Gefahr

Eine starke EU ist vielen Mächten ein Dorn im Auge. Die Angriffe gegen das europäische Modell bestätigen nur dessen Erfolg. Es geht dabei um nichts weniger als die europäische Demokratie. Der hybride Krieg jener Mächte, die sich vor Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat fürchten, bedroht unser Zusammenleben – und findet dabei auch Unterstützer innerhalb Europas. Der Kampf, der hier tobt, ist mehr als ein üblicher Konflikt zwischen Staaten. Er fordert Menschenleben, wie es ukrainische Waisenkinder seit fünf Jahren spüren. Er bedroht das oben erwähnte Fundament, auf dem der Erfolg Europas beruht. Denn dieses Fundament zieht seine Festigkeit vor allem aus dem Vertrauen, das die Bürger ihm entgegenbringen.

Hier setzt der hybride Krieg an. Ging es im Kalten Krieg noch um zwei konkurrierende Ideologien, setzt die neue Art Krieg nicht mehr dabei an, dass man der anderen Seite glaubt. „Entscheidend ist vielmehr, dass man gar nichts mehr glaubt. „In an ever-changing, incomprehensible world the masses had reached the point where they would, at the same time, believe everything and nothing think that everything was possible and nothing was true”, schrieb die große Denkerin Hannah Arendt 1951. Also alles und dabei nichts mehr glauben – die Unterminierung des Vertrauens in den Rechtsstaat, in Freiheit, Marktwirtschaft und in den Individualismus.

Nur eine kleine Gruppe verwirrter Radikaler kann man heute noch mit Kommunismus oder Nationalsozialismus locken. Und natürlich ist den meisten bewusst, dass Kanada und Spanien in Summe mehr Freiheit, Mitbestimmung und Sicherheit bieten als beispielsweise fundamentalistische Autokratien. Ziel der Propaganda ist es, gezielt Zweifel am „System“ zu schüren. Die Grenzen zwischen einem – fehleranfälligen, oft mühsamen, nicht perfekten, aber in Summe freien – System und dem – willkürlichen – System von Autokratien sollen verschwimmen. Das hat zwei Gründe: Einerseits stellt ein zerstrittenes Europa global deutlich weniger Konkurrenz für andere Großmächte dar. Das sieht man beim Abkommen mit dem Iran, beim Zollstreit mit den USA oder auch bei den strategischen Infrastrukturinvestitionen von China.

Andererseits sehen sich mittlerweile viele Regimes einer wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung gegenüber. Die Globalisierung hat Abschottung de facto abgeschafft. Vor allem junge Menschen sehen, was woanders möglich ist; dass andere politische System deutlich mehr Perspektive bieten; dass es auch ohne Korruption gehen kann; dass man nicht mehr Angst haben muss, für eine Meinung im Arbeitslager zu landen. Wo früher Panzer geschickt wurden, wird heute Propaganda eingesetzt, deren wichtigster Bestandteil die Destabilisierung des Gegners ist. Viele Staaten des früheren Ostblocks, etwa die baltischen, haben aus ihrer Erfahrung heraus eine starke Position gegen diese Art der Angriffe entwickelt. Der Rest Europas hat lange geschlafen.

Die Ukraine als Experimentierfeld

Das Beispiel Ukraine bietet sich gut an. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnte sich ein Großteil der einst unterdrückten Völker in die Freiheit retten. Der Einfluss auf das Baltikum oder südosteuropäische Staaten war verloren – spätestens mit dem EU- und Nato-Beitritt jener Staaten. Als sich Millionen Ukrainer anschickten, eine der korruptesten Cliquen, die je in Europa regierten, zu vertreiben, schrillten innerhalb und außerhalb der Ukraine die Alarmglocken: Niemals darf es dazu kommen, dass dieses Land erfolgreich wird, mit marktwirtschaftlichen Strukturen und einem echten Rechtsstaat.

Schon zu Beginn der Verhandlungen des Assoziierungsabkommens, das dem Land wirtschaftlich mehr Stabilität ermöglichen sollte, startete eine Propagandawelle enormen Ausmaßes. Eine der am häufigsten verbreiteten Lügen über die Ukraine ist, das Land werde von „rechtsextremen Faschisten“ regiert. Dass dies von Rechtsextremen behauptet wird, mag noch als bittere Ironie durchgehen. Faktisch war die Behauptung eine strategisch platzierte Lüge rund um den Präsidentschaftswahlkampf 2014. Ein TV- Sender berichtete vom „Wahlsieg eines rechtsextremen Politikers“, der in Wahrheit 0,7 Prozent erreichte. Doch die Saat war gelegt. Bis heute hält sich die Behauptung. Daran ändern auch ein jüdischer Staatspräsident und jüdischer Premierminister nichts.

Feindbilder schüren, Landsleute mobilisieren

Staatliche oder staatlich unterstützte Propaganda von außerhalb gegen Europas Staaten soll nicht nur die Bevölkerung verunsichern, sondern auch die eigenen Leute beeinflussen. Bekannt ist hier die Debatte zum Einfluss islamistischer Verbände auf Muslime in Europa, konkret aus der Türkei, auf hier lebende Menschen. Weil diese Beeinflussung nicht geheim stattfindet und sich mancher Staatschef offen damit rühmt, ist diese Debatte lebendig und befeuert auch Politiker, die bei anderen Systemen eher weniger Berührungsängste zeigen.

Interessant ist auch der deutsche Fall „Lisa“. In den Sozialen Medien überschlugen sich Meldungen über jenes Mädchen, das behauptete, „Südländer“ hätten es entführt. Außereuropäische Medien verbreiteten diese Geschichte. Plötzlich kam es in mehreren deutschen Städten zeitgleich zu Demonstrationen. Rechtsextreme Gruppen schlachteten das Thema aus. Schlussendlich war es ein Außenminister persönlich, der offen den deutschen Behörden unterstellte, ein Verbrechen zu vertuschen. Diese gezielte Aussage sollte natürlich die Bevölkerung in Deutschland aufwiegeln. Das Ziel war klar: Der deutsche Staat sollte diskreditiert werden. Deutschland, zu jenem Zeitpunkt noch das politisch mächtigste und heute noch wirtschaftlich potenteste Land der EU, sollte destabilisiert werden.

Misstrauen schüren gegen „die Eliten“ als Erfolgsfaktor

Natürlich ist die gezielte unwahre Behauptung seit Jahrtausenden ein Mittel im politischen Kampf und keinem Land vorenthalten. Viel subtiler und daher erfolgversprechender ist aber flächendeckende Desinformation gegen „die da oben“: Am Tag nach dem Abschuss von Flug MH17 über der Ostukraine mit mehr als 300 Toten im Jahr 2014 wurden 57.000 Tweets abgesetzt, die die ukrainische Regierung beschuldigten.

Rund um das Brexit-Referendum 2016 setzten zigtausende (auch iranische) Fake-Accounts rund zehn Millionen Tweets ab. Rund um die Massenproteste in Katalonien 2017 fluteten Bots Twitter und teilten zigtausende Mal die Tweets von Julian Assange, allesamt gegen die spanische Regierung und die EU. Allein im September 2017 wurde Assange 940.000 Mal via Hashtag erwähnt – hauptsächlich im Zusammenhang mit Katalonien. Als Spanien-Experte war er bis dato unbekannt.

Im Vorfeld der Italien-Wahlen 2017 dominierte das Thema Migration. „El País“ analysierte, dass von Februar bis Juli 98.000 User auf Twitter mehr als eine Million Tweets dazu absetzten. Die zwei einflussreichsten ausländischen Medien waren die außereuropäischen Plattformen „Huffington Post Italia“ und „Sputnik Italia“.

Am 17. Jänner 2018 sperrte Facebook rund 300 Accounts in und aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion, die Fake News verbreitet hatten. Es kam heraus, dass die lettischen Plattformen von einer außereuropäischen Plattform betrieben wurden.

Bei den „Gelbwesten“-Protesten in Frankreich 2018/2019 tauchten Securities auf, die als Söldner im Donbass gekämpft hatten. Mehr als 600 Fake-Accounts tweeteten mehrere tausend Mal pro Tag zu den Protesten. Die Inhalte kamen hauptsächlich von zwei außereuropäischen Medien.

Der Rechtsstaat steht vor einem Problem

Jeder kann alles ins Netz stellen – und binnen weniger Stunden oder gar Minuten wird es verbreitet. Eine etwaige Klarstellung im selben Umfang in Umlauf zu bringen, ist fast unmöglich. Die schiere Masse an Postings in den Netzwerken stellt auch den Rechtsstaat vor ein Problem. Wie kann die Meinungsfreiheit (also auch die Freiheit, Blödsinn zu verbreiten) von Angriffen außereuropäischer Mächte abgegrenzt werden?

2017 haben die Außenminister der EU gemeinsam erklärt, stärker gegen außereuropäische Propaganda vorgehen zu wollen. Die Institutionen der EU reagieren mit Aufklärung, wissenschaftlichen Analysen von Fake News und Propaganda sowie Appellen. 2015 – drei Jahre vor der EU-Kommission – hat das Europäische Parlament eine Task Force gegründet, die gezielt Fake News aufdecken und Fakten aufzeigen soll. Mit 1,3 Millionen Euro Budget und 17 Mitarbeitern versucht man nun, falsche Berichte zu enthüllen.

Doch man will auch zu härteren Maßnahmen greifen und Online-Plattformen zwingen, Propaganda-Accounts zu sperren. Der schmale Grat zwischen Zensur und notwendigem Vorgehen ist den Akteuren bekannt. Darf der Staat hier eingreifen? Was ist einfach „Clickbait“, was dreiste Lüge? Hier muss man klar sagen: Die Debatte, was der Staat darf, ist enorm wichtig. Geführt wird sie ja auch in Europa und nicht in den Staaten, aus denen viele Propagandawellen kommen. Im heurigen Jänner verabschiedete der Außenpolitische Ausschuss eine Resolution, die konkret auf Bedrohung durch Propaganda aus Drittstaaten abzielt. Aufgedeckte Propaganda soll gemeinsam mit den wahrheitsgemäßen Fakten veröffentlicht werden.

Doch alle staatlichen Maßnahmen nützen gar nichts, wenn das eigentliche Ziel der Propaganda, der Bürger, nicht selbst ein Gespür dafür entwickelt, was seriös ist und was nicht. Dass wir alle in Freiheit leben können, ist nicht selbstverständlich. Freiheit ist kostbar und fragil. Soziale Medien können – auch das liegt in der Verantwortung jedes einzelnen Nutzers – als Ort der Meinungsfreiheit den Diskurs befruchten und seriösen Argumenten Platz bieten. Oder als die größte Müllhalde von Lügen, Desinformation, Hass in die Geschichte eingehen.

Text ist erschienen im Couleur-Magazin des MKV und der Wiener Zeitung.

c Beitragsbild: Europäische Gemeinschaft 1996