Rechtsstaat und Erweiterung

Die EU-Erweiterung ist das stärkste außenpolitische Instrument der Europäischen Union, auch wenn eine außenpolitische Identität der Union fehlt. Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Marktwirtschaft und Freiheit sind die Stärken Europas. Nach wie vor drängen viele Länder in die EU. Ein Bericht von einer Paneuropa-Konferenz in Skopje.

Skopje, die Hauptstadt von Mazedonien, war Austragungsort einer Paneuropa-Konferenz Ende Jänner. Die Themen waren durch die langjährigen Bestrebungen des Balkanlandes, Mitglied in der EU zu werden, klar: Erweiterungspolitik und Rechtsstaatlichkeit. Organisiert wurde die Konferenz von der Paneuropa-Union Mazedonien – die gleichzeitig ihr 30-jähriges Bestehen feierte – unter ihrem Präsidenten Andrej Lepavcov und Generalsekretärin Biljana Janeva. Die Paneuropabewegung Österreich hatte die Ehre als Koorganisator aufzutreten. Wobei auch Unternehmen aus Österreich, die in dem Land geschäftlich tätig sind, wie beispielsweise der niederösterreichische Energieversorger EVN oder Novomatic als Sponsoren auftraten.

Die europäische Dimension der Konferenz wurde vor allem durch die Zahl der teilnehmenden Paneuropa-Organisationen unterstrichen. Neben Alain Terrenoire, dem Präsidenten der Paneuropa-Union aus Frankreich (der mit dem französischen Energie-Experten Gerard Chabert anreiste) kam auch die Vizepräsidentin der Paneuropa-Union Walburga Habsburg-Douglas aus Schweden nach Skopje. Aus Deutschland kam der Vorsitzende der Paneuropa-Jugend Christian Hoferer, aus Bosnien-Herzegowina Vanja Gavran, aus Albanien der Vorsitzende der dortigen Paneuropa-Organisation Genc Pollo mit dem früheren Parlamentarier und Oppositionspolitiker Gerti Bogdani, aus Rumänien der Paneuropa-Präsident Alexandru Nazare, aus Kroatien der Generalsekretär der Paneuropa-Union Pavo Barisic, aus Slowenien der Vizepräsident der dortigen Paneuropa-Bewegung Zlatko Mikulic. Aus Montenegro reiste Paneuropa-Vorsitzende Gordana Djurovic mit einer kleinen Delegation an und aus Österreich kam der Generalsekretär der Paneuropabewegung Österreich Rainhard Kloucek.

Hochkarätige Gäste aus ganz Europa

Dazu kamen der österreichische Botschafter in Mazedonien Martin Pammer und seine deutsche Amtskollegin Petra Drexler, der internationale Sekretär der EVP Patrick Voller und der Vertreter der Konrad Adenauer Stiftung in Mazedonien Daniel Braun. Der Vizepräsident des Europäischen Parlamentes Othmar Karas schickte eine Videobotschaft. Hristijan Mickoski, Vorsitzender der mazedonischen Oppositionspartei VMRO-DPMNE nahm an einer der Panel-Diskussionen teil, der frühere Staatspräsident Mazedoniens Gjorge Ivanov – er war auch Gast bei Paneuropa-Kongressen in Wien – war einer der Eröffnungsredner des Kongresses in Skopje. Frühere Regierungsmitglieder Mazedoniens wie Marjan Gjorchev (er war auch Paneuropa-Präsident in Mazedonien) oder Emil Dimitriev (er war Premierminister) nahmen genauso an der Konferenz teil wie zahlreiche Diplomaten, Vertreter des Unternehmertums und der Zivilgesellschaft.

Die Frage der Namensänderung

Politisch korrekt dürfte man nicht von Mazedonien sprechen. Der offizielle Name des Landes lautet Nord-Mazedonien. Diese Namensänderung wurde von Griechenland nach einer jahrelangen Blockade erzwungen, er sollte dem Land den Weg in die EU ermöglichen. Nach dem Prespa-Abkommen, das unter anderem der österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn mitverhandelt hatte, sollte Mazedonien seinen Namen auf Nord-Mazedonien ändern (dafür wurde dann auch die Verfassung geändert) und Griechenland sollte sein Veto gegen Beitrittsverhandlungen aufgeben.

Das Land mit den Blockadenachbarn

Doch Mazedonien scheint ein Land zu sein, das nicht nur freundliche Nachbarn hat. Nachdem Griechenland seine Blockade zurücknahm war der nächste Nachbar mit einem Veto zur Stelle. Bulgarien.

Andrej Lepavcov bei der Eröffnung der Paneuropa-Konferenz in der mazedonischen Hauptstadt Skopje.

Hier geht es um eine bulgarische Volksgruppe in Mazedonien. Neuerlich wird eine Änderung der Verfassung verlangt, um endlich die Beitrittsverhandlungen beginnen zu können. Der Begriff endlich ist hier angebracht. Im Jahr 2005, gleichzeitig mit Kroatien, erhielt Mazedonien den Beitrittskandidatenstatus. Kroatien ist seit mehr als zehn Jahren Mitglied der EU, hat im Vorjahr den Euro eingeführt und gehört mittlerweile auch dem Schengenraum an. Mazedonien wartet weiter auf den Beginn von konkreten Beitrittsverhandlungen.

Bereits 2003 wurde in Thessaloniki den Ländern Südosteuropas, im EU-Jargon Westbalkan genannt, der Beitritt in die EU zugesagt. Passiert ist bisher nicht sehr viel, obwohl seither mehr als 20 Jahre vergangen sind.

Doppelte Standards und andere Hindernisse

Diese Schwäche der EU, die Verwendung von doppelten Standards, die Verzögerungen und Blockaden durch einzelne EU-Länder, aber natürlich auch die Schwächen der Beitrittsländer am Balkan selbst, bildeten die inhaltlichen Schwerpunkte der Diskussionen. Alain Terrenoire verwies auf den geopolitischen Kontext und die damit verbundenen Herausforderungen an die EU, die ein engagiertes Herangehen an die Erweiterung notwendig machen.

Andrej Lepavcov, der auch jahrelang als Botschafter seines Landes bei der EU gewirkt hatte, beleuchtete die Lage in der Region, mit den Spannungen die etwa immer wieder von Serbien provoziert werden, ging aber auch auf die neuen Herausforderungen für ein Beitrittsland wie Mazedonien ein, die sich durch nun hinzugekommene Kandidatenländer wie etwa die Ukraine ergeben.

Auch in Mazedonien wird 2024 gewählt

Auf das Wahljahr 2024 ging Pavo Barisic ein. Dadurch könnten sich in einigen Ländern Verschiebungen in der politischen Landschaft mit weiteren Folgen ergeben, das betrifft insbesondere die Europawahl. Die Erweiterung bezeichnete er als nicht nur einen technischen Prozess, sondern als fundamentale Angelegenheit für die Europäische Union. Genc Pollo erinnerte an die ursprüngliche Paneuropa Idee von Richard Coudenhove-Kalergi, in der es darum ging, dass Europa geeint und frei sein müsse. Die EU dürfe deshalb bei autokratischen Tendenzen in der Region nicht ein Auge zudrücken. Als richtig bezeichnete er die Entscheidung der EU, wonach Kandidatenländer keine goldenen Reisepässe mehr vergeben dürfen. Damit wird eine Praxis angesprochen, bei der gegen Geld Reisepässe eines EU-Landes (oder eben eines Beitrittslandes, das bald der EU angehören könnte) an Bürger von Drittländern ausgestellt werden. Besonders beliebt sind solche Pässe bei dubiosen Geschäftsleuten unter anderem aus Russland. Allerdings ist es für Pollo ein doppelter Standard, wenn diese Praxis bei EU-Ländern nicht abgestellt wird.

Regionale Kooperation und Energiefragen

Die regionale Zusammenarbeit über verschiedene kleinere Projekte stand im Mittelpunkt der Präsentation von Gordana Djurovic. Dabei nahm die Energieversorgung eine wichtige Rolle ein. Sie plädiert dafür, hin zu Mehrheitsentscheidungen zu kommen, um so die Blockademöglichkeiten durch einzelne Länder zu verhindern. Über seine Erfahrungen mit verschiedenen Hindernissen auf dem Weg in die EU verwies Alexandru Nazare, wenn sich während der Gespräche die Regeln ändern. Dabei sei es gerade aufgrund des gegebenen Krieges Russlands gegen die Ukraine unbedingt notwendig, dass die EU nun Einheit zeige.

Die für Mazedonien so wichtige Frage der Erweiterungspolitik der EU stand im Mittelpunkt des Eröffnungspanels. Es sprachen, von links: Andrej Lepavcov (am Rednerpult), Mazedonien; Biljana Janeva moderierte; Alain Terrenoire, Frankreich; Pavo Barisic, Kroatien; Rainhard Kloucek, Österreich; Genc Pollo, Albanien und Gordana Djurovic aus Montenegro. Klar war für alle Teilnehmer, dass 20 Jahre nach der Konferenz von Thessaloniki, in der den Ländern des Westbalkan der Beitritt in die EU zugesagt wurde, nun endlich Taten folgen müssen.

Die Erfolgsgeschichte der EU, so Rainhard Kloucek, sei auch eine ihrer Schwächen. Aus den Erfahrungen zweier Weltkriege gegründet, war das Ziel die Verhinderung von Krieg zwischen den Mitgliedsländern. Damit hatte die europäische Einigung auch Erfolg, und konnte diesen Erfolg durch die Aufnahme neuer Mitglieder auf eine breitere Zone ausdehnen. Allerdings war damit das Projekt europäische Einigung nach innen gerichtet.

Die außenpolitische Identität fehle. Nach wie vor poche jeder einzelne Mitgliedsstaat auf seine Souveränität in der Außenpolitik. Ein globaler Größenvergleich der Länder aber zeige, dass so keine außenpolitische Wirkung erreicht werden könne. Die Erweiterung sei der momentan wichtigste Pfeiler dessen, was man als außenpolitische Dimension der EU bezeichnen könne, sie müsse deshalb strategisch eingesetzt werden.

Es braucht eine Vision für das geeinte Europa

Entscheidend aber werde sein, dass es wieder gelingt, die Vision eines geeinten Europa zu zeichnen. Um ein Schiff zu bauen, so ein Vergleich, der gebracht wurde, brauche es ausgebildete Fachkräfte. Allerdings würde niemand auf die Idee kommen ein Schiff zu bauen, wenn es nicht die Vision gäbe, in die Weiten der Weltmeere zu segeln und neue Gebiete zu entdecken.

Eine der Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist die Rechtsstaatlichkeit. In ihren Berichten über die Fortschritte der Kandidatenländer bei Reformen spielt für die Europäische Kommission die Durchsetzung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit eine wichtige Rolle. Darauf verwies unter anderem Patrick Voller, um aber damit gleichzeitig deutlich zu machen, dass das Friedensprojekt Europa nicht nur erhalten sondern auch gestärkt und erweitert werden müsse. Gerade in der heutigen Zeit brauche es mehr Europa.

Fehlt der Rechtsstaat kommt die Tyrannei

Ganz grundsätzlich auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ging Walburga Habsburg Douglas ein. Der entscheidende Punkt dabei ist, dass jeder an das Recht gebunden ist, egal welche Position oder Rolle er oder sie inne habe. Ohne Rechtsstaatlichkeit keine funktionierende Demokratie, ohne Rechtsstaatlichkeit auch keine Freiheit, formulierte sie. Fehlt die Rechtsstaatlichkeit, so kommt es zur Tyrannei. Der Fall des Eisernen Vorhanges bot die Möglichkeit, die Prinzipien des Rechtsstaates in Länder zu tragen, die davor über Jahrzehnte unter einem totalitären, tyrannischen Regime gelitten haben. Sie betonte dazu die Rolle von Organisationen wie Paneuropa, die als Nichtregierungsorganisationen, als nicht partei-
gebundene Organisationen, für dieses Prinzip immer und überall eintreten kann, egal welche Regierung welchen Couleurs in welchem Land gerade an der Macht sei. Für die weitere Entwicklung der EU ist ihrer Meinung nach dieses Rechtsstaatlichkeitsprinzip von so großer Bedeutung, weil es einen Kernpunkt der Attraktivität der EU ausmacht. Neben Demokratie, Freiheit und freier Wirtschaft ist gerade die regelbasierte Ordnung ein herausragendes Merkmal der Attraktivität der EU.

Die EU und das Problem mit dem Rechtsstaat

Dass auch die EU selbst es nicht immer schafft sich an das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zu halten, daran erinnerte Marjan Gjorchev mit dem Verweis auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 15. Dezember 2011. Damals hatten 15 Richter in Luxemburg entschieden, dass Mazedonien unter dem Akronym FYROM (Former Yugoslav Republic of Macedonia), der EU beitreten könne. Der Richterspruch wurde aber politisch ignoriert, Griechenland konnte seine Erpressungspolitik mit der Namensänderung des Landes trotzdem fortsetzen, Mazedonien wäre bereit gewesen als FYROM der EU beizutreten.

Die Fragen der Rechtsstaatlichkeit standen im Mittelpunkt der Diskussion im zweiten Panel. Von links: Andrej Lepavcov, Präsident der Paneuropa-Union Mazedonien; Hristijan Mickoski, Vorsitzender der Oppositionspartei VMRO-DPMNE; Walburga Habsburg Douglas, Vizepräsidentin der Paneuropa-Union; Patrick Voller, internationaler Sekretär der EVP; Daniel Braun, Konrad Adenauer Stiftung Skopje.

Einen selbstkritischen Blick auf die Lage im eigenen Land richtete der mazedonische Oppositionschef Hristijan Mickoski. Als ein hybrides Regime bezeichnete er die jetzige Regierung seines Landes, die viel versprochen habe, aber keine echten Fortschritte vorweisen könne. Es genüge eben nicht Papiere zu unterschreiben. Entscheidend sei die Umsetzung. Dazu brauche es Führung aber auch gute Beispiele. Mazedonien habe mit seinen Verfassungsänderungen etc. bewiesen, dass es Vorgaben umsetzen kann, der europäische Weg müsse mit Entschlossenheit weiter gegangen werden.

Leerer Stuhl statt Einstimmigkeitsprinzip

Aufgrund der geringen Fortschritte bei der EU-Integration erhofft sich Mickoski als Chef der Oppositionspartei VMRO-DPMNE bei den im Frühjahr anstehenden Wahlen in Mazedonien einen Sieg und damit einen Regierungswechsel. In Anspielung auf die vielen Veto-Blockaden gegen Mazedonien trug Mickoski noch eine Spitze gegen die Entscheidungsfindung in der EU vor. Beim Rat im Dezember des Vorjahres habe man gelernt, dass es nun anstatt des Einstimmigkeitsprinzips ein Prinzip des leeren Stuhles gäbe. Das war keine Anspielung auf die Politik des leeren Stuhles von Otto von Habsburg in der Zeit des Kalten Krieges, sondern auf die Empfehlung an den ungarischen Regierungschef Viktor Orban, bei der Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine seinen Platz zu verlassen, um einen Kaffee trinken zu gehen.

Verschiedene Interessen sind am Balkan aktiv

So konnte es bei der Entscheidung zu keinem Veto kommen. Diese Spitze von Mickoski ist unter anderem deshalb zu beachten, weil die derzeitige sozialistische Regierung in Mazedonien in Kombination mit anderen sozialistischen Netzwerken auf EU-Ebene, der Opposition immer wieder unterstellt mit Orban und damit mit den russischen Interessen unter einer Decke zu stecken.

Unter den Gästen der gut besuchten Konferenz in Skopje waren unter anderem der österreichische Botschafter in Mazedonien Martin Pammer (erste Reihe ganz rechts), sowie neben ihm sitzend Wolfgang Maier von der EVN in Mazedonien.

In den verschiedenen Gesprächen im Rahmen der Konferenz wurden aber nicht nur die vielen kleinen Probleme und großen Hindernisse auf dem Weg in die EU besprochen, die eindeutig als Schwäche in der Politik vieler EU-Länder interpretiert wurden, sondern auch die strategischen Investitionen (politisch und wirtschaftlich) anderer Regionalmächte in Mazedonien und am Balkan generell. Konkret angesprochen wurde dabei vielfach die Türkei. Einer der Gesprächspartner meinte, in der Türkei denke man eben immer noch in der Dimension des Osmanischen Reiches.

Copyright Fotos: Petar Paunche

Beitragsbild: Die Führung der Paneuropa-Union Mazedonien, Andrej Lepavcov und Biljana Janeva (rechts hinter Lepavcov) mit den Gästen aus mehreren anderen Paneuropa-Organisationen. Darunter Paneuropa-Präsident Alain Terrenoire (erste Reihe mit blauer Krawatte) und Paneuropa-Vizepräsidentin Walburga Habsburg Douglas (mit rotem Pullover) und Paneuropa-Generalsekretär Pavo Barisic (dritter von links). Von den Präsidiumsmitgliedern der Paneuropa-Union waren Gordana Djurovic (rechts neben Walburga Habsburg Douglas) aus Montenegro und Rainhard Kloucek (rechts neben Biljana Janeva) anwesend. Dazu kamen Genc Pollo aus Albanien (zweiter von links, erste Reihe), Christian Hoferer aus Deutschland (zweiter von links, zweite Reihe), Zlatko Mikulic aus Slowenien (zweiter von rechts, dritte Reihe), Alexandru Nazare aus Rumänien (mit blauer Krawatte, zweite Reihe rechts) und Vanja Gavran aus Bosnien-Herzegowina (letzte Reihe, rechts).