Rechtsstaatlichkeit trotz Chaos: Kosovo wählt erneut

In Prishtina bleibt es politisch spannend: Nach einigem Chaos im vergangenen Jahr geht das Land am Sonntag zu den Urnen. Ausgerechnet der Favorit darf aber kein Mandat annehmen. Von Philipp Jauernik.

Nun ist es also wieder so weit: Weniger als anderthalb Jahre nach dem Urnengang im Oktober 2019 werden die Bürger des oft so bezeichneten jüngsten Staats Europas, der Republik Kosovo, erneut zur Wahl gerufen. Der Grund dafür ist ein auf den ersten Blick technokratisch wirkender: Das Verfassungsgericht hatte im Dezember 2020 die Wahl der Regierung im Juni des Jahres für verfassungswidrig erklärt.

Blick zurück: Die Wahl 2019 hatte mit Blick auf die Stimmanteile keinen Erdrutsch gebracht, doch die Stimmung deutete klar auf eine Veränderung der Verhältnisse hin. Erstmals war die aus der Guerillaarmee UCK hervorgegangene ursprünglich sozialdemokratische und nunmehr mitte-rechts befindliche PDK nicht mehr an der Regierung beteiligt – im Unterschied zur linksnationalen Vetëvendosje (VV, albanisch für „Selbstbestimmung“) des durchaus populären früheren Studentenpolitikers und ehemaligen politischen Häftlings Albin Kurti, die erstmals in eine nationale Koalition eintrat und mit Kurti auch den Premierminister stellte. Sie war eine Koalition mit der liberal-konservativen LDK sowie einer serbischen Liste eingegangen.

Lange hielt das Bündnis nicht: Weniger als zwei Monate nach der Angelobung stimmten 82 der 120 Parlamentarier einem Misstrauensantrag zu. Auslöser war die Entlassung von Innenminister Agim Veliu (LDK) durch Premier Kurti ohne Absprache mit dessen Partei, nachdem Veliu seinerseits aufgrund der Covid-19-Pandemie öffentlich den Notstand ausgerufen hatte. Die LDK bezeichnete das als Koalitionsbruch.

Doch die Stimmung war schon zuvor sehr labil gewesen. Ständige Reibereien zwischen Kurti und Staatspräsident Hashim Thaci über die Frage, wer ein Verhandlungsmandat auf internationaler Ebene ausüben solle sowie mit dem Sondergesandten der USA, Richard Grenell, der im Auftrag US-Präsident Trump mit einigem Druck einen Deal zwischen Kosovo und Serbien erreichen sollte. Kurti stand dabei im Weg, da er – nach Ansicht zahlreicher Beobachter nicht gänzlich zu Unrecht – die Intransparenz des Prozesses bemängelte. Dass Kurtis VV hin und wieder durchaus mit dem politisch hoch sensiblen Thema einer Vereinigung des Kosovo mit Albanien liebäugelt, brachte durchaus Zündstoff in die Debatte.

Am 3. Juni wählte das Parlament schließlich den Ökonomen Avdulla Hoti (LDK) zum neuen Premier – mit 61 Stimmen denkbar knapp. Hier liegt auch der Hund begraben, denn einer der zustimmenden Abgeordneten war aufgrund einer gerichtlichen Verurteilung eigentlich gar nicht stimmberechtigt gewesen. Folgerichtig erklärte das Verfassungsgericht die Wahl Hotis für ungültig und ordnete Neuwahlen zum Parlament an.

Diese finden nun am 14. Feber statt. Erwartet wird ein erneuter Sieg der Vetëvendosje, der alle Prognosen massive Zugewinne vorhersagen. Was das für die Zukunft des Landes bedeutet, ist unklar. Kurti selbst darf, so das oberste Gericht am 29. Jänner, aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung im Herbst 2018 nicht kandidieren. Seine Partei dürfte aber in die Lage kommen, eine Regierung zu bilden. Wie sehr die oft ungestüme Truppe den Weg der Diplomatie beschreiten wird, bleibt ebenso abzuwarten wie die Rolle Kurtis selbst, dessen Einfluss in seiner Partei ungebrochen ist. Aus Beobachtersicht ist jedenfalls die starke Rolle der Gerichte auffällig, deren Urteile auch umgesetzt werden. Eins ist also klar: Der junge Staat geht, unbeschadet aller politischer Turbulenzen, kompromisslos den Weg der Rechtsstaatlichkeit.

Philipp Jauernik studierte Geschichte und arbeitete unter anderem als Berater für Beziehungen zu Südosteuropa im Europäischen Parlament. Er ist Bundesvorsitzender der Paneuropajugend Österreich (gegründet 1922) und gehört dem Vorstand der Österreichisch-Kosovarischen Gesellschaft an. Außerdem fungiert er als Chefredakteur des Magazins »Couleur«.

Dieser Text erschien ursprünglich in der „Wiener Zeitung“.

Das Beitragsbild zeigt die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo. c Paneuropa