Europa und Russland sind keine Gegner. Für eine gute nachbarschaftliche Beziehung ist aber die Einhaltung von Verträgen und eine friedliche Grundhaltung Voraussetzung. Ein Kommentar von Karl von Habsburg.
Immer wieder wird aus verschiedenen politischen Richtungen die Forderung erhoben, doch endlich die angeblich sinnlosen Sanktionen gegen Russland zu beenden. Sie würden doch nur der europäischen Wirtschaft schaden und den amerikanischen Interessen dienen. Bei dieser Argumentation wird gerne vergessen, was zu den Sanktionen gegen Russland geführt hat, und wen sie wirklich betreffen. Dabei ist schon der Begriff Sanktionen leicht irreführend, suggeriert er doch, dass es sich hier um allgemeine Maßnahmen gegen Russland handelt. Tatsächlich geht es bei den sogenannten Russland-Sanktionen hauptsächlich um gezielte Aktionen gegen Personen, Unternehmen und Institutionen, die mit dem Einmarsch Russlands auf der Krim und in der Ostukraine zu tun haben. Ein Faktum, das in der gegenständlichen Diskussion gerne vergessen wird.
Unbekannt ist vielen Menschen, dass Russland Sanktionen gegen die EU bzw. Sektoren der europäischen Wirtschaft erlassen hat. Kaum jemand weiß, dass die Einfuhrverbote von landwirtschaftlichen Produkten nach Russland keine Folge der EU-Maßnahmen gegen die russische Führung sind, sondern vielmehr auf eine Entscheidung Moskaus zurückzuführen sind. Gerade aber in so schwerwiegenden außen- und sicherheitspolitischen Fragen ist es enorm wichtig, immer aufgrund von Fakten zu argumentieren.
Ursachen für die Maßnahmen gegen Russland
Dazu gehört auch das Wissen um die Ursachen der Maßnahmen gegen Russland. Die liegen eindeutig in der Eroberungspolitik Moskaus gegenüber seinem Nachbarland Ukraine. Die Krim wurde annektiert. Die angeblich so faire Abstimmung auf dieser Halbinsel wurde nach einer militärischen Besetzung durchgeführt. Und nachdem Russland unliebsame Persönlichkeiten bereits verschwinden hat lassen. Wie fair eine solche Abstimmung sein kann, möge jeder selber beurteilen, sich dabei aber vorstellen, dass eine Waffe auf ihn gerichtet ist. Aber selbst diese völkerrechtswidrige Besetzung der Krim hat die „Sanktionen“ gegen Moskau noch nicht ausgelösten.
Es musste noch ein weiterer Schritt der militärischen Aggression erfolgen, der Einmarsch russischer Verbände in den Osten der Ukraine. Erst als offensichtlich war, dass Moskau plant, diesen Vormarsch bis nach Odessa fortzuführen, entschloss man sich zu handeln. Die Folge waren eben diese sogenannten Sanktionen gegen russische Einrichtungen.
Nicht nachvollziehbar ist eine Argumentation, die da behauptet, die EU würde sich von den USA einspannen zu lassen, um das geopolitische Spiel gegen Russland zu spielen. Die EU hätte demnach gar kein Interesse an guten Beziehen zum Nachbarn im Osten. Die Faktenlage belegt das Gegenteil.
Nicht die erste militärische Aggression Russlands
Die militärische Aggression gegen die Ukraine ist nicht das erste militärische Abenteuer Moskaus in der jüngeren Vergangenheit. Man denke an die russische Präsenz in Transnistrien oder auch an den Krieg gegen Georgien. In keinem der Fälle hat die EU die Beziehungen zu Moskau abgebrochen, der EU-Russland Dialog blieb aufrecht, obwohl die von Präsident Putin eingeschlagene Politik schon damals Anlass für eine härtere Gangart geboten hätte.
Mit dem Einmarsch Moskaus in der Ukraine dürfte es aber selbst den außenpolitisch sehr schwachen Ländern der EU gereicht haben. Im Fall Ukraine kommt noch eine Besonderheit dazu. Die Ukraine hatte sich in Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion für unabhängig erklärt. Historische, kulturelle und politische Gründer gibt es dafür genug. Die Ukraine war – noch aus der Sowjetzeit – eine der größten Atommächte. Das Interesse der internationalen Staatengemeinschaft, die Zahl der Atommächte klein zu halten und kontrollieren zu können, war groß. Diese Motivation war einer der Hintergründe für das Budapester Memorandum, in dem sich die Ukraine zur Aufgabe der Atomwaffen verpflichtete. Im Gegenzug garantierten die Unterzeichner des Memorandums die Grenzen des Landes. Russland war eine der Garantiemächte dieses Budapester Memorandums, und damit der Unverletzlichkeit der Grenzen der Ukraine.
Spätestens bei diesem Faktum sollten bei all jenen die Alarmglocken läuten, die so gerne damit argumentieren, dass Moskau doch alle seine Verpflichtungen erfülle.
Richtig ist, dass es ohne Russland keinen Frieden in und für Europa gibt. Dafür wird es aber notwendig sein, dass Moskau sich an Vereinbarungen hält und die Freiheit der europäischen Staaten respektiert. Ob die sogenannten Sanktionen zum erwünschten Ziel – dem Rückzug Moskaus aus den besetzten bzw. annektierten Gebieten der Ukraine (und wohl auch Georgiens) – führt, wird sich noch zeigen. Ohne klare politische Signale aus der EU würde Moskau jetzt wohl schon in Odessa die Kontrolle übernommen haben. Oder noch weiter im Westen. Und das kann auch nicht im Interesse der europäischen Wirtschaft sein.
Der Artikel wurde ursprünglich auf der Seite von Karl von Habsburg veröffentlicht.