Russisches KZ oder kämpfen

Zehn Jahre dauert der Krieg Russlands gegen die Ukraine bereits. Und er kann noch viele Jahre dauern. Denn, so lange es noch eine ukrainische Stadt gibt, die nicht von den Russen erobert ist, werden sich die Ukrainer verteidigen. Davon zeigt sich Sergij Osatschuk überzeugt. Die Ukrainer kennen nämlich die Alternative zum Freiheitskampf: das Ende in einem russischen KZ.

Fast direkt von der Front kam Sergij Osatschuk nach Wien. Seine Frau Ludmila ist österreichische Honorarkonsulin in der Bukowina mit der Landeshauptstadt Czernowitz. Sie kam zur Tagung der österreichischen Honorarkonsule nach Wien. Sergij Osatschuk konnte sie auf seinem Fronturlaub begleiten. Unbekannt ist er im deutschsprachigen Raum nicht. In zahlreichen Interviews und natürlich im Paneuropa-Podcast kommentierte er die Lage in der Ukraine. Damals noch in seiner Funktion als Gouverneur der Bukowina.

Im Sommer 2022 wechselte er die Funktion. Seither ist der Oberst an der Front eingesetzt. Demenstsprechend drastisch sind seine Schilderungen. Egal wo man sich aufhält, die Lebensgefahr ist immer dabei. Russland setzt schwere Bomben ein, durch die Verbesserung bei den Gleitbomben sind sie zielgenauer geworden und haben ihre Zerstörungskraft deutlich erhöht. Aber auch die Zivilisten in der Ukraine sind dem täglichen Terror der russischen Angreifer ausgesetzt.

Seine politische Analysefähigkeit zur Bewertung der Lage hat er aber nicht verloren. So kritisiert er die Einstellung im Westen, man wolle Putin nicht provozieren. Wörtlich spricht er von einer „Maskarade der Weltpolitik“ durch Putin, die überall angenommen wurde. Man wollte nur sehen was an der Oberfläche zu sehen war. Doch unter dem Tisch hat Putin bereits gegen die Schienbeine seiner westlichen Gesprächspartner getreten.

Beginn der aktiven Phase des Dritten Weltkrieges

Gleich zu Beginn seines Lageberichtes macht Sergij Osatschuk klar, dass der Krieg bereits vor zehn Jahren mit der Annexion der Krim und dem Einmarsch in der Ostukraine begonnen hat, auch wenn man das im Westen damals nicht wahrhaben wollte. Den 24. Februar 2022, also den Beginn der Vernichtungsinvasion, bezeichnet er als „Beginn der aktiven Phase des Dritten Weltkrieges“. Damit macht er klar, dass es Putin und seiner „Bande an der Macht“ nicht nur um die Vernichtung der Ukraine geht, sondern um eine neue Weltordnung nach den Vorstellungen eben dieser Bande.

Deutliche Kritik kam von Sergij Osatschuk an der westlichen Politik, die immer wieder Angst davor hatte, rote Linien zu überschreiten. Damit habe man bereits das Spiel Putins übernommen und es de facto ihm überlassen, was die roten Linien sind. Als rote Linie bezeichnet der Oberst selbst die völkerrechtlich anerkannten Grenzen der Ukraine. Diese rote Linie wurde von Russland überschritten. Nun werden die roten Linien mit dem Blut der Ukrainer gezogen. Europa und der Westen dürften sich aber nicht von Moskau irgendwelche roten Linien vorgeben lassen, sondern müssten selber eine klare Kommunikation gegen Russland fahren und mit allen Freundlichkeiten und Rücksichtnahmen gegenüber Moskau aufhören. Es gehe um einen Vernichtungskrieg, der nicht verziehen werden kann.

Die Ukrainer kennen das Angebot von Putin

Bei der Frage, wie lange die Ukraine durchhalten werde, zerstreut Osatschuk sämtliche Bedenken, dass die Ukraine demnächst zusammenbrechen könne. „Die Ukraine wird durchhalten solange sie kann.“ Das bezieht er auf die Geografie des Landes. Wenn nur mehr Uzhgorod oder Czernowitz von den Ukrainern verteidigt würde, dann würde die Ukraine diese beiden Städte verteidigen so lange sie noch kann. Denn, so führt er sehr klar aus, die Ukrainer kennen das „Angebot“ von Putin. Dieses Angebot bedeutet Vernichtung in einem Konzentrationslager. Weil die Ukrainer das wissen, ist auch ihre Motivation, den Freiheitskampf fortzuführen, so hoch.

Auch wenn die erste Welle der Freiwilligen, die sich direkt nach dem 24. Februar 2022 zur Armee gemeldet haben, vorbei ist, genießt die Armee nach wie vor eine hohe Unterstützung durch die Zivilbevölkerung. So gehen beispielsweise viele Spenden direkt an die Einheiten an der Front. Je berühmter eine Einheit ist, umso leichter fällt es ihr Unterstützung zu sammeln. Zu Beginn des Krieges haben viele Freiwillige in ihren privaten Autos beispielsweise Verpflegung an die Front gebracht und dabei vielfach ihr Leben riskiert. Nun läuft das in organisierten Bahnen.

Dass die Ukraine so lange durchhalten kann, liegt auch an einer guten Vorbereitung. Sergij Osatschuk berichtet, dass er schon in seiner Funktion als Gouverneur regelmäßig an Besprechungen teilgenommen hat, die der Vorbereitung auf den Ernstfall gedient haben. In der Ukraine war man sich sicher, dass Putin angreifen werde.

Mangel, Motivation und Innovation

Leichte Kritik kommt an der zögerlichen Haltung des Westens bei der Unterstützung mit militärischem Gerät. Teilweise sei wirklich nur Schrott geliefert worden, also altes Gerät. Die Ukrainer aber sind in der Lage alles was sie bekommen einzusetzen. Das ist ein Teil der Innovationsfähigkeit seiner Landsleute, auf die er stolz verweist. Es ist eine logisitische Meisterleistung, die die Ukraine vollbringe, da sie mit ganz unterschiedlichen Systemen arbeiten muss. Aber auch hier ist das bekannte Angebot Putins die große Motivation, alles zur Einsatzfähigkeit zu bringen, was man zur Verfügung hat. Der Mangel an Munition, vor allem an Artilleriemunition, mache sich jeden Tag bemerkbar. Gleichzeitig haben die Ukrainer es geschafft in der Drohnentechnologie enorme Fortschritte zu machen.

Surowikin lässt alles niederbomben

Wie ernst es Moskau mit der Genozid-Absicht gegen die Ukrainer meint, erläutert Sergij Osatschuk anhand der jüngsten Befehle von General Surowikin, die man abfangen konnte. Der russische General ist im Syrien-Krieg mit der Taktik bekannt geworden, alles niederzubomben. Nun hat er den Befehl gegeben, das Gebiet bis inklusive zehn Kilometer hinter der Front permanent (also Tag und Nacht) zu beschießen, um eine möglichst große Zerstörungswirkung zu erreichen. Das Ziel der vollkommenen Zerstörung ist damit klar erkennbar.

Dankbar zeigt sich Sergij Osatschuk für die humanitäre und soziale Hilfe, die aus den Ländern der Europäischen Union und damit auch Österreich kommt. Er wünscht sich aber eine klarere Haltung gegenüber Russland. Denn: „Das ist nicht unsere Wertegemeinschaft!“ Freundlichkeiten und Verständnis für das Moskauer Putin-Regime müssen ein Ende haben.

Dazu gehört auch ein totales Embargo gegen Russland. Also nicht nur Sanktionen, die noch dazu in vielen Bereichen sehr leicht umgangen werden können. Niemand in der Ukraine oder in der EU erhebt Anspruch auf russisches Territorium, aber es ist das souveräne Recht der Ukraine, die Mitgliedschaft in der EU anzustreben.

Geschichte nicht missbrauchen

Und weil Wladimir Putin gerne mit irgendwelchen historischen Begründungen kommt, gibt es vom studierten Historiker Osatschuk auch dazu eine klare Ansage: „Geschichte darf nicht als Instrument der internationalen Politik missbraucht werden. Es gibt internationales Recht.“