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Schengen: Bringen Binnengrenzen innere Sicherheit?

Was haben Deutschland und Kroatien gemeinsam, obwohl Deutschland Mitglied des Schengenraumes ist und Kroatien nicht? In beiden Ländern herrschen an den Grenzübergängen flächendeckende Kontrollen. Eine Analyse von Elias Kindl.

Dies geschah aufgrund der großen Flüchtlingsbewegung im Sommer/ Herbst 2015. Diese Kontrollen sollten eigentlich im Februar 2017 enden, jedoch vollzieht die bayerische Regierung weiterhin Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze und möchte dies auch bis zum kommenden Frühjahr so beibehalten.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hält Grenzkontrollen innerhalb der EU auch wegen der Terrorgefahr für unabdingbar. „Zwar hat sich der Migrationsdruck durch Flüchtlinge in den letzten Monaten verringert. Die aktuellen Anschläge stellen aber gegenüber dem Jahr 2015 eine nochmals verschärfte und damit neue Lage dar, auf die Europa reagieren muss“, sagte der CSU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in München. Damit verknüpft die bayerische Regierung die Frage der Grenzkontrolle mit der Frage der Sicherheit. Nun, wie wirksam sind Grenzkontrollen im Hinblick auf die innere Sicherheit eines Landes?

Die Staaten des Schengener Abkommens: Vollanwenderstaaten (blau), Nicht-EU-Schengenmitglieder (hellblau), Zukünftige Schengenmitglieder (gelb), Kooperierende Staaten (grün).

Die Staaten des Schengener Abkommens: Vollanwenderstaaten (blau), Nicht-EU-Schengenmitglieder (hellblau), Zukünftige Schengenmitglieder (gelb), Kooperierende Staaten (grün).

Die Wirksamkeit von Grenzkontrollen wurde auch in Österreich ins Spiel gebracht. FPÖ-Europaabgeordneter Harald Vilimsky ortete von September bis Dezember 2015 einen 35 prozentigen Rückgang. Ab September 2015 werden die wichtigsten Grenzübergänge wie Nickelsdorf, Spielfeld oder am Walserberg kontrolliert.

Stimmt diese Behauptung? Dies kann bestritten werden, da dies zum einen nicht der Zweck von Grenzkontrollen sei und zum anderem die längeren Trends seit 2007 nichts dergleichen zeigen. Grenzkontrollen zielen auf besondere Personengruppen ab und werden meist nur stichprobenartig durchgeführt. Sie können höchstens abschreckend wirken. Denn selbst, wenn die Kontrollen abschreckend wirken würden, würden wir dies bei den Zahlen sehen. Die Kontrollen wurden 2007 an der österreichische Ostgrenze ausgesetzt, da Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien dem Schengenraum beitraten. Nun müsste der Argumentation von Vilimsky und Herrmann folgend, die Kriminalität in diesen Jahren im Vergleich zu 2006 steigen. Dies ist allerdings nicht der Fall. Bei Wohnungseinbrüchen sind die Zahlen relativ konstant. 2006 gab es 16.548 Einbrüche. Wenn man diese Zahl mit der Zahl von 2014 vergleicht (17.109 Fälle von Wohnungseinbruch), kann man annehmen, dass sich Grenzkontrollen zumindest in diesem Bereich bezahlt gemacht hätten. Auch, wenn man sich die ersten Jahre ansieht, gab es einen leichten Anstieg nach der ersten Grenzöffnung. Von 18.896 Einbrüchen im Jahr 2006 auf 21.165 Einbrüche im Jahr 2009. Bereits damals wurde von einzelnen Politikern und Medien ein Zusammenhang mit der Schengen-Öffnung vermutet. Doch die Zahl sank in den Folgejahren deutlich unter jenen Wert vor Aufhebung der Grenzkontrollen. 2014 zählte die Polizei bundesweit 17.109 solcher Delikte.

 

Niederösterreich: Weniger Einbrüche nach Grenzöffnung

Einen noch deutlicheren Trend gab es in Niederösterreich. Dort ist die Einbruchkriminalität bereits in den ersten Jahren nach der Grenzöffnung deutlich zurückgegangen. Von 4000 Einbrüchen in Wohnungen und Häuser im Jahr 2007 auf 2532 im Jahr 2010, danach ist sie wieder leicht angestiegen.

Allerdings übersieht man hier die Zahlen dazwischen, z.B. 15.442 Fälle von Wohnungseinbrüchen 2012. Diese Zahl ist der niedrigste Wert seit 2005. Deswegen kann man annehmen, dass das Aufheben der Grenzkontrollen durch das Beitreten der östlichen Nachbarn zum Schengenraum keine Auswirkungen auf die Zahlen der Wohnungseinbrüche hat.

Die entgegengesetzte Entwicklung, als durch Hermann und Vilimsky angegeben, kann man beim Diebstahl von Kraftfahrzeugen beobachten. Hier gibt es einen stetigen Rückgang. Der Diebstahl von Kraftfahrzeugen ging zwischen 2005 bis 2014 zurück, von 10.446 Fällen auf 3347 Fälle.

Auch die Gesamtkriminalität sank signifikant. Diese sank von 604.229 Fällen 2005 auf 527.692 Fälle 2014, welches auch der niedrigste Wert seit 2005 wäre. Weniger kriminelle Delikte gab es nicht nur im Westen des Landes wie etwa in Tirol, sondern auch in der Steiermark oder in Niederösterreich – also jenen Regionen, die direkt an der geöffneten Ostgrenze liegen. Im Burgenland und Wien blieben die Zahlen weitgehend stabil.

© Piergiuliano Chesi Die Grenze zwischen Österreich und Italien am Brenner im Jahr 1978. Mit Schengen fielen endlich die Grenzkontrollen zwischen Tirolern nördlich und südlich des Brenners weg.

© Piergiuliano Chesi
Die Grenze zwischen Österreich und Italien am Brenner im Jahr 1978. Mit Schengen fielen endlich die Grenzkontrollen zwischen Tirolern nördlich und südlich des Brenners weg.

Besonders das Beispiel der Diebstähle von Kraftfahrzeugen zeigt den unschätzbaren Vorteil des Schengenraumes. Das Schengen führt auch zu effizienteren Ermittlungen. Denn mit der Umsetzung des Abkommens wurde die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit verstärkt und eine europaweite Datenbank aufgebaut, in der nicht nur gesuchte Personen, sondern auch gestohlene Fahrzeuge abrufbar sind. Die Europäische Fahrzeug Identifizierungs-Datei wäre hier zu nennen.

 

Terror – über freie Grenzen?

Doch was ist mit dem Terror, wird man einwenden. Denn in der CSU in Bayern sieht man die Grenzkontrollen auch als wirksames Werkzeug gegen den Terror. Hier dient der Fall Amri in Deutschland und seine Flucht über die Ländergrenzen als Beispiel. Das Problem ist, dass es hier keine validen Zahlen gibt, anders als bei der Kriminalität. Hier kann man nicht feststellen, ob es mit Grenzkontrollen gelungen wäre diese Flucht zu verhindern. Meiner Meinung nach ist hier die Diskussion vom Ende her gedacht.

Hier sind die offenen Grenzen bei der Flucht der falsche Ansatz. Die mangelnde Zusammenarbeit der europäischen Geheimdienste wäre gefragt, um solche Attentate zu verhindern. Kritiker des Schengenraumes sollten sich darum bemühen, die föderalen Strukturen auf geheimdienstlicher Ebene zu verändern. Denn bekannt war der abgelehnte tunesische Asylbewerber Amri schon im Frühsommer 2015. Schon damals war er in salafistischen Kreisen unterwegs. 2016 warnte der tunesische Geheimdienst zweimal die deutschen Behörden vor Amri. Auch das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt schätzte ihn als gefährlich ein. Hier funktionierte das Zusammenspiel zwischen den Behörden in Dortmund und Berlin nicht.

Auch eine weitere Alternative, die die belgische Regierung ins Spiel gebracht hat, erscheint wenig zuversichtlich. Diese will Reiseverkehrsunternehmen vom kommenden Jahr an verpflichten, Informationen von Passagieren auf internationalen Verbindungen zu speichern – nicht nur bei Flugreisen, auch im Bahn-, Bus- und Schiffsverkehr. Über die belgischen Grenzen sollen dann nur noch Reisende kommen dürfen, die ein auf ihren Namen ausgestelltes Ticket haben. Die Registrierungspflicht hätte ihm die Flucht auf jeden Fall schwerer gemacht.

 

Fazit: Viele Nachteile, aber keinerlei Nutzen

Warum werden die belgischen Pläne in Deutschland und anderen EU-Ländern kritisch gesehen? Weil Aufwand und Ertrag nach Meinung vieler Experten nicht in einem angemessenen Verhältnis stehen. In der EU-Kommission wird zum Beispiel argumentiert, dass die Kontrolle von Tickets und Ausweisdokumenten an Bahnhöfen zu langen Warteschlangen führen dürfte. Diese könnten zu einem neuen Ziel für Selbstmordattentäter werden.

Bahn- und Busunternehmen fürchten den zusätzlichen Aufwand für die Kontrollen, der sie zu höheren Ticketpreisen zwingen könnte. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums liegen den deutschen Sicherheitsbehörden zudem keine Anhaltspunkte darüber vor, dass der grenzüberschreitende Hochgeschwindigkeitszugverkehr einer höheren Gefährdung unterliegt, als der andere Eisenbahnverkehr in Deutschland.

Man sieht zusätzlich zu den immensen Kosten, die Grenzkontrollen verursachen würden, hätte sie auch keinen Nutzen. Wie wir anhand der Zahlen gesehen haben, gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Grenzöffnung und der Kriminalität. Auch haben wir gesehen, dass eine Schließung des Schengenraumes auch beim Terrorismus keinen Sinn ergeben würde und hier vielmehr eine verstärkte Zusammenarbeit der Geheimdienste gefragt wäre.

 

Kindl

 

Der Autor

Elias Kindl ist Vizepräsident der Paneuropa-Jugend Österreich. Der Politologe hat sich insbesondere auf die Sicherheitspolitik und Osteuropafragen spezialisiert.

 

Dieser Beitrag erscheint in Kooperation mit dem Magazin „Couleur“ des Mittelschüler-Kartell-Verbandes.