Welche Folgen die Pleite der Air Berlin für die Luftfahrtindustrie und die Konsumenten haben könnte. Eine Analyse von Viktor Szontagh.
Historisch versierte Luftfahrtenthusiasten müssen sich ein wenig wie in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ vorgekommen sein – wieder wird eine deutsche Fluglinie abgewickelt – und wieder scheint sich Lufthansa die Filetstücke gesichert zu haben.
Rückblende: 1990, deutsche Einigung. Plötzlich hat ein Land zwei „staatliche“ Fluggesellschaften. Der Bund hatte 49 Prozent Anteile an der Lufthansa gehalten, die ostdeutsche Interflug war als rein staatliches Unternehmen gegründet worden. Dem ostdeutschen Unternehmen ging es finanziell nicht gut. Die Interflug-Flotte bestand großteils aus formschönen, aber veralteten Maschinen russischer Bauart, die Passagierzahlen stagnierten.
Kampf um die Filetstücke – mit harten Bandagen
Doch was das einstige DDR-Paradeunternehmen attraktiv machte, waren andere Teile des Unternehmens. Interflug betrieb den Flughafen Berlin-Schönefeld, ihr gehörten weitere Grundstücke in Berlin und im Bundesland Brandenburg und sie hatte Streckenrechte sowie Slots die sie als Investition interessant machten. In den Tagen des „deutschen Goldrauschs“ wurde die Interflug Opfer eines zwielichtigen Ränkespiels zwischen Bundeskartellamt, Treuhand-GmbH und Lufthansa.
Die Sanierung durch Beteiligung der Lufthansa wurde aus kartellrechtlichen Gründen untersagt, der mögliche Mitbieter British Airways durch gefälschte Bilanzen von der Investition abgeschreckt, wertvolle Firmenbestandteile ausgegründet und Interflug zuletzt in die Insolvenz geschickt. Strahlender Sieger dieses „Kampfes um die Berliner Lufthoheit“ war die Lufthansa, das Nachsehen hatte die Belegschaft der Interflug.
Nun, über 25 Jahre später, bietet sich ein ähnliches Bild: Wieder steckt eine deutsche Fluggesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten – und wieder schickt sich die Lufthansa an, sich die Filetstücke aus der Beute zu sichern. Diesmal sind es nicht die Langstrecken-Streckenrechte, sondern europäische und innerdeutsche Verbindungen sowie Kurz- und Mittelstreckenmaschinen. Den Rest mag der Geier holen – der Kranich begnügt sich mit einer de-facto-Monopolstellung im heimischen Luftraum.
Air Berlin – ein Blick zurück
Wie konnte es so weit kommen? Air Berlin, insolvent? Eingeweihte wundern sich nicht, für sie war dies eher das Ende eines langsamen Sterbens einer Gesellschaft, die nicht so recht wusste, was sie wollte.
Dabei sah es anfangs ganz gut aus: Ende der siebziger Jahre wurde Air Berlin (AB) gegründet – kurioserweise als US-Unternehmen. Dies war der Tatsache geschuldet, dass West-Berlin nur von Flugzeugen der Siegermächte angeflogen werden durfte. Hauptziel war damals schon Palma de Mallorca, auch andere Ziele im Mittelmeerraum wurden für Charterflüge angeflogen. Im Verlauf der 1990er-Jahre wurden die ersten regulären Strecken eingerichtet, auch diese führten großteils zu Ferienzielen. Als um das Jahr 2000 die Billigflugairlines (Low Cost Carrier, LCC) auch in Europa zu expandieren begannen, wollte AB ein Stück dieses Kuchens und bot als „City Shuttle“ auch innereuropäische reguläre Verbindungen an.
Das Geschäft brummte, Air Berlin expandierte.In wenigen Jahren wurden die Ferienfluggesellschaften Belair, dba und LTU – samt deren Langstreckenverbindungen und
Großraummaschinen – erworben, mit dem Mitbewerber TUIfly wurde eine strategische Allianz eingegangen, die Beteiligung an der österreichischen Airline Niki zu einem 100 Prozent-Eigentum ausgebaut. Man trat der Luftfahrtallianz Oneworld bei. Doch hinter dieser glanzvollen Fassade kriselte es bereits. Nie konnte sich die Geschäftsführung entscheiden, billiger Netzwerkcarrier oder Ferienflug-Anbieter mit point-to-point-Strecken zu sein. Dass der Spagat, beides sein zu wollen, auf lange Sicht nicht gut gehen konnte, war Insidern schon lange absehbar.
Die Probleme werden mehr
Und so begann das langsame Sterben des zweitgrößten deutschen Carriers. Die Geldspritze durch den Einstieg von Etihad Airways öffnete zwar die Tür zum Arabischen Golf, doch band
dieser hart umkämpfte Markt Kapazitäten, die anderswo besser eingesetzt werden hätten können – und das Luftfahrt-Bundesamt bereitete den Codeshare-Flügen im Herbst 2014 ein Ende.
Die nachfolgenden Geschehnisse sind im Rückschau leicht zu interpretieren: die Aufgabe von Drehkreuzen etwa in Nürnberg und Palma de Mallorca, der letztlich den Cashflow belastende Verkauf sämtlicher Flugzeuge im Rahmen von „sale and lease back“, das Verleasen Dutzender Flugzeuge an Eurowings und Austrian Airlines, das fortwährende Manager-Karussell, wiederholte Kündigungswellen zum „Gesundschrumpfen“ – alles war vergeblich. Als im Frühjahr 2017 bekannt wurde, dass 2016 ein operatives Ergebnis in Höhe von -667 Mio Euro (zum Vergleich: 2015 waren es -307 Mio Euro) erreicht wurde, begann sich den Balken zu senken. Eine Pleite war nicht mehr abwendbar.
Ausblick: Folgen für den mitteleuropäischen Luftraum?
Welche Auswirkungen mag dies haben? Wissen wir aus heutiger Sicht nicht, daher ist das Nachfolgende bloße Spekulation – allerdings nicht ganz ins Blaue hinein geraten.
Die Beschäftigten der AB werden es künftig nicht leicht haben. Ihnen droht die Kündigung, falls Firmenteile wie etwa die Langstrecken-Verbindungen von den Bietern nicht weitergeführt werden. Oder sie werden „freiwillig“ in andere Gesellschaften übertreten, vermutlich nicht zu arbeitnehmerfreundlicheren Bedingungen.
Die Zukunft der österreichischen AB-Tochter Niki kann spannend werden. Die im Gegensatz zum Mutterunternehmen – und dank einer Überbrückungsfinanzierung durch die Republik Österreich – nicht insolvente Airline (ein Insolvenzantrag wurde jüngst von einem österreichischen Gericht abgewiesen) konzentriert sich auf das Ferienfluggeschäft und ist in diesem Bereich nicht unerfolgreich. Durch einen Abtausch von Maschinen fliegt sie mit Airbus 321, bietet also auch auf höher frequentierten Ferienrouten höhere Kapazitäten. Bei welchem neuen Eigentümer sie letztlich „landen“ wird, ist zurzeit nicht absehbar, die Anzeichen verdichten sich allerdings, dass Lufthansa auch auf diesen Teil der Beute ein Auge geworfen haben soll.
Wenn die Luftfahrtgesellschaft Walter (LGW), die für Air Berlin deren Dash-8-Kurzstreckenflotte betrieb, tatsächlich an Easyjet gehen sollte – wie derzeit vermutet wird – würden die Turboprop-Maschinen zugunsten der Airbus-Einheitsflotte der Engländer abgegeben werden, deren Besatzungen könnten das Nachsehen haben. Wieso gerade Easyjet? Nun, die Engländer würden die Betriebserlaubnis (Air Operator Certificate, AOC) von LGW nutzen können, um quasi als deutscher Carrier auch nach dem Brexit möglichst ungestört in der EU operieren zu können. Zwar gibt es mit Easyjet Europe bereits ein österreichisches Tochterunternehmen, das eigens zu diesem Zweck gegründet wurde, aber mit deutschem AOC könnte man die beiden Töchter auf Ebene der Löhne gegeneinander konkurrieren lassen, denn die Tarifverträge bei LGW liegen noch niedriger als bei der AB-Mainline.
Was spürt der Konsument?
Wie der Konsument die Auswirkungen einer Übernahme großer Teile von Air Berlin durch die Lufthansa zu spüren bekommen würde? Nun, abgesehen von LCCs und kleinen Regional-Carriern wie Rhein-Neckar-Air wäre Lufthansa der einzige Konzern, deren Maschinen in Deutschland Passagiere befördern würden. Bereits jetzt sind Maschinen der Kranich-Gruppe stark im innerdeutschen Verkehr vertreten, auch wenn sie teils (noch) unter Germanwings-Logo oder (schon) als Eurowings unterwegs sind. Was man als Konsument von Monopolstellungen halten kann, mag jeder selbst beurteilen.
Positive Auswirkungen auf Ticketpreise und Service werden allerdings kaum zu erwarten sein: der wirtschaftliche Druck durch den konzernfremden Billigcarrier ist passé, mangels Konkurrenz kann die Lufthansa die Ticketpreise praktisch nach Belieben anpassen, da sie dann die alleinigen Streckenrechte für innerdeutsche Verbindungen besitzen würde.
Dass dies ein durchaus realistisches Szenario ist, können all jene bestätigen, die beruflich
bedingt zwischen Wien und Innsbruck pendeln müssen: Während Niki die Strecke bediente, musste der „Staatscarrier“ Austrian Airlines die Preise anpassen, um dem heimischen Billigflieger Paroli bieten zu können. Freilich wird auch die Lufthansa „Billigflüge“ anbieten, hat sie doch im eigenen Konzern selbst LCC-Töchter Germanwings und Eurowings gegründet. Von der Konzernmutter unabhängig werden sie ihre Preise – trotz der wesentlich schlechteren Dienstverträge für die Mitarbeiter und andere kostensenkende Faktoren – wohl kaum gestalten können.
Lufthansas Marktdominanz wächst
Mit dem Erwerb von Teilen der Air Berlin wird sich die Lufthansa über einen ansehnlichen Zuwachs an Marktanteilen freuen können. Neue Strecken könnten durch eigene Maschinen erschlossen, parallel geführte AB-Flugstrecken eingestellt und die Kunden dadurch auf Flüge der LH-Gruppe gezwungen werden. Über Zahlen und Anteile könnten indes mangels genauer Zahlen allenfalls wenig seriöse Spekulationen angestellt werden – und das wollen wir an dieser Stelle lieber unterlassen. Die Zeit wird zeigen, wohin die Reise (in diesem Fall der Flug) geht.
So, wie sich die Dinge zurzeit entwickeln, kann es übermorgen schon wieder alles anders sein. Wer aber aus der Geschichte gelernt hat, wird zu Recht vermuten können: Lufthansa wird nicht zu den Verlierern zählen, wenn es zu Ränkespielen und der Aufteilung der Beute kommt. Der Kranich betätigt sich mitunter gerne und stets erfolgreich als Geier.
Viktor Szontagh ist Jurist, Vielflieger und Luftfahrtenthusiast.