Wenn gute Entwicklung nicht reicht – Tschechen wählen Premierminister ab.

Bei den tschechischen Parlamentswahlen wurde der Regierungschef abgestraft. Nur gute Zahlen alleine reichen nicht, wenn Unsicherheit über eine positive Zukunft herrscht. Ein Kommentar von Stefan Haböck, Internationaler Referent der Paneuropa Bewegung Österreich.

Tschechien steht wirtschaftlich gut da. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Im Gegensatz zu den Nachbarländern gibt kaum Asylwerber. Die Arbeitslosigkeit in Tschechien liegt bei rund 3 Prozent, kaum ein anderes Land in der Europäischen Union weist einen so niedrigen Wert auf. Das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren war gut. Statt 70 Millionen Kronen Defizit fuhr man einen Budgetüberschuss von knapp 62 Milliarden Kronen ein.

 

Die Regierung verliert – der entlassene Finanzminister triumphiert

Jetzt stürzte der Regierungschef Bohuslav Sobotka mit seinen regierenden Sozialdemokraten ab. Minus 13,8 Prozentpunkte – ein Debakel. Der große Wahlsieger heißt Andrej Babis, Milliardär und Konzernchef. Seit Kurzem läuft gegen ihn ein Verfahren wegen angeblichen EU-Subventionsbetruges. Er erreichte mit seiner Partei ANO (Ja!) rund 30 Prozent der Stimmen.

 

Wie konnte es dazu kommen?

Viel wurde in den vergangenen Wochen diskutiert, wie es sein kann, dass in der guten Lage Tschechiens Teile der Regierung heftig abgestraft werden konnte.

War es  der in vielen Ländern beobachtbare Trend „gegen die Eliten“? Aber wenn ein Milliardär und Konzernchef nicht Elite ist, wieso dann ein nicht unerfolgreicher Regierungschef wie Sobotka?  Geht um Sauberkeit im politischen System? Gegen Babis läuft ein Strafverfahren. Es geht um EU-Subventionsbetrug. Geschadet hat ihm das bei den Wahlen nicht. Oder wollen „die Tschechen“ (zumindest der Teil, der die traditionellen Parteien nicht gewählt hat) einfach „die Politik“ abstrafen? Möglich. Aber Babis ist selbst Politiker, hatte bis Mai 2017ein hohes Ministeramt inne, war wichtiger Teil der eben abgestraften Regierung.

Um es zu verstehen, muss man noch ein wenig weiter zurückgehen. Die Niederlage der regierenden Sozialdemokraten von  ČSSD reiht sich ja nicht nur ein in eine lange Abfolge von desaströsen Abstürzen sozialdemokratischer Parteien in Europa, zum Beispiel Frankreich, sondern ist auch in Tschechien konsequent. Bei der vorherigen Wahl traf es nämlich auch die Regierungsparteien – nur halt die eher konservativ-liberalen ODS und TOP09. Die CSSD war damals nicht Teil der Regierung. Jetzt erteilte sie dasselbe Schicksal.

 

Eine geschickte Inszenierung als Reformer – doch wer will mit ihm?

Babis hat eines sehr gut vermocht: Sich als Reformer innerhalb der Regierung zu präsentieren. Erfolge, wie eben gute Budgetzahlen und Wirtschaftswachstum, wurden ihm als Finanzminister zugeschrieben. Etwaige Skandale, die zu seiner Entlassung als Minister führten, wurden hingegen den sozialdemokratischen beziehungsweise konservativen Koalitionspartnern angelastet. Der Reformer muss weg. So schien es für viele Tschechen.

Die Regierungsbildung gestaltet sich nun mehr als schwierig. Nicht so sehr die Partei ANO per se sondern die Person Babis ist es, die den anderen Parteien ein Dorn im Auge ist. Die meisten Parteien lehnen eine Koalition mit Babis als Premierminister aufgrund des laufenden Strafverfahrens ab. Manche würden jegliche Koalition mit Ano, auch ohne Babis im Kabinett, ablehnen. Wird sich dieses Dilemma nicht lösen lassen, stünden die Kommunisten oder die rechtslastige SPD für eine Minderheitenregierung zur Verfügung.

 

Wieso Vergleiche mit den USA zu billig sind und pro-europäisch definiert werden muss.

Eine große Debatte entflammte sich an Babis zusätzlich – ist er überhaupt „pro-europäisch“? Und nicht eigentlich ein „Trump“ oder „Orban“?

Mal davon abgesehen, dass man sich in intellektuelle Niederungen begibt, wenn politische Analysen nur mehr anhand von zwei, drei Politikernamen stattfinden. Babis ist nicht Trump, er ist Babis. Seine Person, sein Leben, seine politischen Positionen geben genug Stoff her, um zu diskutieren und zu kritisieren. Die Partei ANO ist auf europäischer Ebene Mitglied der ALDE – der Europäischen Liberalen. Die, sehr kritisch gegenüber Populisten und EU-Kritikern – vornehmlich aus dem Bereich der Konservativen, weniger bei den Sozialisten –  müssen sich nun rechtfertigen, eventuell einen „Anti-Europäer“ in ihren Reihen zu dulden.

Dazu muss man klar feststellen: Was pro-europäisch ist und was nicht, ist schwer anhand einer reinen Ideologie festzustellen. Vertragstreue, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Subsidiarität – das sind paneuropäische Werte und Prinzipien die unseres Erachtens zutiefst pro-europäisch sind. Gleichzeitig aber auch Marktwirtschaft und Freihandel. Allein an letzterem würden ziemlich viele Gruppierungen links als auch rechts am Attribut „pro europäisch“ scheitern. Dass Kritik an „der EU“ und „Brüssel“ – leider – kein reines Alleinstellungsmerkmal von osteuropäischen Politikern ist, habe ich auch schon in einem vergangenen Blogbeitrag zu Osteuropa festgestellt.

 

Im Wahlkampf wird oft heißer gekocht als gegessen. Pragmatismus heißt der neue Stil.

Babis ist ein Pragmatiker. Ein international tätiger Unternehmer, der sehr wohl die Vorteile des Binnenmarktes und eines freien Europas kennt und schätzt. Tschechien ist vor allem durch die Öffnung und die Chancen in der Europäischen Union wirtschaftlich gewachsen. Es ist nicht Mitglied der Eurozone, das sind aber viele andere EU-Staaten ebenso nicht. Und: als Finanzminister (eingebettet in eine Regierung mit zwei Partnern) hat er den Staatshaushalt saniert und gut geführt.

Eines darf man nie vergessen: Opposition und Wahlkampfzeiten sind anders zu bewerten als Regierungsverantwortung. Schon mancher Populist wurde in der Regierung zahmer. Ein Robert Fico, Linkspopulist der ersten Stunde, hat nicht nur die Slowakei reformiert sondern bezeichnet heute sein Land als „selbstverständlichen Teil eines Kerneuropas!“. Abzuwarten ist nun, welche Koalition sich in Tschechien ergibt. Der Knackpunkt wird der Ausgang der Ermittlungen sein. Je nachdem wird es eine Minderheitenregierung, eine Koalition oder gar Neuwahlen geben. Das Signal der Wähler war jedenfalls deutlich.

Stefan Haböck ist Referent für Internationale und Europäische Angelegenheiten im Präsidium der Paneuropa Bewegung Österreich. Zuvor, von 2008 bis 2016, war er Bundesvorsitzender der Paneuropa-Jugend Österreich. Er ist zudem Europagemeinderat der Stadt Wels.