Ziel erreicht?

Vladimir Putin hat wieder einmal bewiesen, dass Panzer ein gewichtiges PR-Instrument sind. Nebenbei hat er auch noch einen kleinen Beitrag zur Spaltung Europas geleistet. Von Rainhard Kloucek

Wochenlang wurde gerätselt, was denn der russische Präsident mit seinem gigantischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine, sowohl auf russischem Territorium als auch auf belarussischem Gebiet als auch im Schwarzen Meer, erreichen wolle. Hätte er tatsächlich vorgehabt, seinen bereits 2014 mit der Annexion der Krim und der anschließenden Besetzung von Gebieten im Osten der Ukraine begonnenen Einmarsch in das westliche Nachbarland fortzusetzen? Auch wenn es mit den 150.000 Soldaten und ihrem Gerät wohl kaum gelungen wäre die gesamte Ukraine zu erobern und dann auch zu halten, eine endgültige Annexion der Ostukraine (vielleicht sogar mit einer Ausdehnung der schon besetzten Gebiete), wäre auf jeden Fall möglich gewesen. Bis der sogenannte Westen reagiert hätte, wären Tatsachen geschaffen gewesen, man hätte sich wieder in irgendeinem Format zu Friedensgesprächen zusammengesetzt.

Die gleichgeschaltete Duma hat jedenfalls Putin jetzt das Mandat erteilt, die besetzten Gebiete in der Ostukraine in die Russische Föderation einzuverleiben. Mit der militärischen Drohkulisse im Hintergrund (auch wenn jetzt angeblich einige Truppenteile wieder abziehen) ist so eine Operation jedenfalls leichter möglich als über einen anderen Weg.

Kaum noch zu leugnen ist, dass in der politischen Welt der russischen Führung der Kalte Krieg noch weitergeht. Im Westen meinte man ihn spätestens mit dem Ende der Sowjetunion beendet zu haben. Doch Putin hat klar gesagt, dass für ihn der Untergang der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts darstellt. Genauso hat er gesagt, dass er die Sowjetunion wiederherstellen würde, wenn er könnte. Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit spielen in seinem politischen Denken höchstens die Rolle eines Feindbildes.

Das Politikmodell Moskaus

Aus diesem Denken heraus ist auch logisch, dass eine Ukraine, die sich demokratisch, rechtsstaatlich und auch noch marktwirtschaftlich entwickelt ein Schreckensszenario für Moskau darstellt. Ein „Brudervolk“, das dem europäischen Modell und nicht dem diktatorischen Politikmodell Moskaus folgt, wäre wohl ein eindeutiger Beleg dafür, dass Diktatur nicht das einzig richtige Politikmodell für diese Brudervölker ist. Eine Destabilisierung der Ukraine – soferne man sie nicht voll unter Moskauer Kontrolle bekommen kann – bleibt also weiter Ziel der russischen Politik.

Wirtschaftlich hat das Säbelrasseln der Ukraine geschadet und schadet weiter. Die de facto Besetzung des Asowschen Meeres schneidet den Hafen Mariupol von Handelsmärkten außerhalb des Landes ab.

Putin hat aber noch ein weiteres wichtiges Ziel erreicht, das mit seiner Sowjetreminiszenz zusammenhängt. Aussagen etwa vom früheren US-Präsidenten Obama, wonach Russland eine untergeordnete Macht sei, weil es ökonomisch alles andere als eine Großmacht ist, haben das Selbstverständnis der russischen Führung herausgefordert. Im Kreml sieht man Russland nach wie vor als Großmacht, als Weltmacht. Schon mit dem Einsatz in Syrien hat Putin das Land zurück auf die Bühne der Weltpolitik gebombt. Söldnerbanden setzen diese Politik nun in Afrika fort.

Seit Wochen dominiert Putin mit seiner Politik gegen die Ukraine nun die Schlagzeilen so ziemlich aller wichtigen Medien. Und das praktisch weltweit. Kein PR-Stratege hätte einen Spin erfinden können, mit dem das gelungen wäre. Panzer als PR-Instrument.

Endlich wieder Weltmacht

Russland wird wieder ernst genommen. Die USA verhandeln plötzlich wieder auf Augenhöhe mit Moskau. Wie zu Zeiten des Kalten Krieges, zu Zeiten der Einflussgebiete in Europa, sprechen die beiden Supermächte – ohne dabei die Europäer zu berücksichtigen – miteinander.

So ganz nebenbei hat Putin auch noch Europa vorgeführt. Alle sind sie bei ihm am langen Tisch gesessen. Der neue deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz genauso wie der französische Präsident Emmanuel Macron, der nicht nur Wahlen vor der Tür hat, sondern als Präsident der einzigen Nuklearmacht in der EU überzeugt davon ist, dass Frankreich berufen ist, Europa zu führen. Boris Johnson aus London durfte da nicht fehlen, schließlich muss er außerhalb der EU beweisen, dass Großbritannien immer noch eine Weltmacht ist. Eine Ablenkung von den innenpolitischen Skandalgeschichten kann ja nie schaden. Selbst der ungarische Premierminister Viktor Orban konnte bei der Rede zum Wahlkampfauftakt seine Fans davon überzeugen, dass ihn eine erfolgreiche Friedensmission nach Moskau geführt hat, und er so beweisen konnte, dass Ungarn eine weltpolitische Macht ist.

Nur einer hat gefehlt. Der Hohe Beauftragte für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU und Vizepräsident der Europäischen Kommission Josep Borell. Der Mann ist allein aufgrund der Politik, die er in der früheren spanischen Regierung gegenüber dem Kosovo betrieben hat, ganz grundsätzlich eine Fehlbesetzung für diese Position. Aber dorthin gesetzt haben ihn die Regierungen der EU-Länder und das Europäische Parlament.

Wie man Europa vorführt

Eine seiner ersten außenpolitischen Aktivitäten führte ihn nach Moskau. Dort hat ihn der russische Außenminister Sergij Lawrow vor laufender Kamera bei der gemeinsamen Abschlusspressekonferenz über die Ausweisung einiger europäischer Diplomaten informiert, und damit als politischen Dilettanten vorgeführt. Diesen Fehler allein Borell vorzuwerfen wäre allerdings gefehlt. Denn seinen Fuß in ein Flugzeug setzen, um eine so heikle außenpolitische Reise zu machen, darf der Hohe Beauftragte nur, wenn es die 27 „souveränen“ Außenminister der EU-Staaten genehmigen. Putin hat seine Schlüsse daraus wohl schon damals gezogen.

Die Hoffnung, die EU (bzw. die Mitgliedsländer) würde (n) nun die richtigen Schlüsse aus den jüngsten Ereignissen ziehen, stirbt zwar zuletzt, viele Anhaltspunkte dazu findet man allerdings nicht.

Die nun wieder mehrfach erhobene Forderung, man müsse jetzt zum Minsk-Prozess zurückkehren beweist eher das Gegenteil. Dieses Abkommen wurde damals geschlossen, um die Kampfhandlungen zu beenden, es hat seit sieben Jahren zu nichts geführt, weil es in sich widersprüchlich ist, es fragmentiert die EU (schwächt sie somit), schwächt die Ukraine, und zeigt somit keinen Weg zur Rückkehr Russlands auf die Grundlagen der internationalen Verträge auf. Es ist ungefähr so sinnvoll wie der Vorschlag, die Ukraine möge doch die Neutralität erklären. Nur Feinde wollen ein Land in die Neutralität drängen, so wie es die UdSSR damals bei Österreich getan hat und bei einem vereinigten Deutschland tun wollte.